Gorian 3
haben jemanden unter uns, dessen bisherige Taten uns neue Zuversicht schenken. Ich spreche von Gorian aus Twixlum, geboren im
Zeichen eines fallenden Sterns, der bis zum Speerstein von Orxanor in Morygors kaltes Reich vordrang, ohne seiner Aura zu erliegen und Morygors Sklave zu werden.«
Der Blick von Meister Morgun war in diesem Moment geradewegs auf Gorian gerichtet, und die Blicke vieler anderer Anwesender richteten sich ebenso auf ihn.
Da Gorian Meister Morgun niemals persönlich begegnet war, musste wohl Thondaril mithilfe von Handlichtübertragungen dafür gesorgt haben, dass der verdiente alte Mann des Ordens ihn sofort erkannte.
Gorian schluckte. Dieses Maß an Aufmerksamkeit gefiel ihm nicht.
»Ihr dürft für Euch in Anspruch nehmen, bisher der Einzige zu sein, der es geschafft hat, Morygor zumindest vorübergehend Furcht einzuflößen, Meister Gorian«, fuhr Morgun mit fester Stimme fort, die allerdings weiterhin ohne irgendeine Form magischer Verstärkung auskam. »Es ist gut, wenn unser Feind zumindest ein wenig von der Furcht, die von ihm ausgeht, auch wieder zurückerhält. Die Hoffnungen des Ordens sind mit Euch, bei allem, was Ihr tut. Nur gibt es auch Strecken auf Eurem Weg, auf denen Ihr allein wandeln werdet, weil alle, die Euch an Kraft ebenbürtig wären, bereits tot oder übergelaufen sind.«
Gorian verneigte sich. Ihm fielen keine Worte ein, die er hätte sagen können.
»Doch nun möchte ich den Anwesenden denjenigen vorschlagen, der als Einziger die unbestrittene Autorität und die Fähigkeiten aufbringt, die notwendig sind, um den Orden neu zu schaffen«, wechselte Meister Morgun das Thema. »Ich spreche von Meister Thondaril, der in zwei Häusern des Ordens geprüft wurde und in beiden den Ring der Meisterschaft errang. Niemand ist vertrauenswürdiger, niemand erscheint
mir mehr gefeit gegen alle Versuchungen und die Verlockungen Morygors.«
»Meister Thondaril wäre eine gute Wahl!«, rief ein anderer Ordensmeister.
»So schlage ich Meister Thondaril hiermit offiziell für das Amt des Hochmeisters vor. Dass er sich bereit erklären wird, diese schwere Bürde in diesen finstersten Stunden zu übernehmen, daran zweifle ich nicht einen Augenblick, denn er würde seine Brüder und Schwestern niemals im Stich lassen.«
»Was ist mit Euch, Meister Morgun?«, fragte eine Ordensmeisterin in mittleren Jahren, die die Festkutte der Seher trug. Gorian war ihr noch nie begegnet.
»Ich könnte es mir leicht machen und sagen, dass ich zu alt bin, um ein solches Amt anzustreben, Meisterin Aawaa. Aber die Wahrheit ist, dass mir die Fähigkeiten dazu fehlen.«
»Das sagt Ihr , der Ihr mit Euren Schriften dem Orden so oft den Weg gewiesen habt?«, fragte die Seherin Aawaa zweifelnd.
»Habt Ihr jemals einen Wegweiser gesehen, der in die Richtung lief, in die er gewiesen hat?«, erwiderte Morgun. »Ich mag in der Vergangenheit ein guter Wegweiser gewesen sein, aber auf dem Weg werden wir jemanden mit anderen Fähigkeiten brauchen. Meister Thondaril ist vielleicht dem einen oder anderen durch seine wenig diplomatisch vorgetragene Kritik in Erinnerung geblieben, die er mit verbissener Beharrlichkeit vorgetragen hat. Leider ist viel von dem, wovor er uns zu warnen versuchte, eingetroffen. Ich werde Meister Thondaril in allem unterstützen, wenn er das Amt übernimmt, stehe aber nicht selbst dafür zur Verfügung.«
Gorian betrachtete Thondaril von der Seite. Der zweifache Ordensmeister war offenbar nicht überrascht, dass er vorgeschlagen
worden war. Gorian traute ihm sogar zu, dass er von langer Hand darauf hingewirkt hatte.
Thondaril trat vor. Gemessenen Schrittes bestieg er das Steinpodest, ließ den Blick einmal in der Runde schweifen und sagte: »Ich danke Euch für Eure vertrauensvollen Worte, Meister Morgun. Mit Eurer Einschätzung, dass ich mich dieser Aufgabe nicht verweigern würde, würde ich berufen, liegt Ihr richtig. Das Amt des Hochmeisters ist in diesen Tagen eine große Bürde, und unser Kampf könnte das letzte Aufbäumen gegen eine unabwendbare vollständige Niederlage sein. Aber ich werde alles tun, das scheinbar Unvermeidliche doch noch zu verhindern. Und falls das nicht möglich sein sollte, werden wir Mittel und Wege finden, das Erbe des Ordens für eine Zeit zu bewahren, da das Eis wieder taut, weil die Herrschaft der Untoten durch Umstände beendet wurde, die heute noch niemand vorherzusehen vermag. Alles ist endlich, außer der Verborgene Gott, so lautet ein Axiom des
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