Gorian 3
vor der Kraft des Gedankens zu fürchten, und ihn deswegen zu unterdrücken versuchen!«
Die Worte dröhnten geradezu in Gorians Kopf wieder, und vielen anderen erging es offenbar ähnlich, denn ein Stöhnen ging durch die Reihen der Ordensbrüder. Manche murmelten noch rasch eine kurze Formel, um sich dagegen abzuschirmen. Aber die sehr starken Gedanken von Meister Ebeldin schwirrten wie ein Echo immer wieder durch das Gewölbe. Gorian hörte sie mehr als ein Dutzend Mal. Die Worte, die diese Gedanken bildeten, verzerrten sich, dehnten dabei ihren Klang, und schließlich wurde ein dissonanter Gedankenchor daraus, dessen Widerhall kaum zu ertragen war.
Es dauerte einige Augenblicke, ehe die Qual vorbei war.
Meister Yvaan ergriff wieder das Wort, und erneut benutzte er keinerlei magische Unterstützung, als er sprach. »Das ist der Preis der Verschwiegenheit, die wir doch alle wollen«, erklärte er. »Denn die Spione Morygors sind überall, und sie dürften längst auch durch die Straßen von Nelbar schleichen. Sie kommen mit den Flüchtlingen, unter denen sich vielleicht jemand befindet, der schon halb untot ist, oder
als Tier, das unter den Einfluss von Morygors Aura geriet und ihm nun dient. Zudem verfügt Morygor selbst über Kräfte, die unserer Vorstellung bei weitem übersteigt und mit denen er sicherlich in der Lage wäre, einen starken Gedanken, der dieses Gewölbe verlässt, zu erfassen.« Meister Yvaans Hand umfasste das Schwert an seiner Seite. Der Ring des Schwertmeisters, den er am Finger trug, blitzte in dem bläulichen Schimmer, von dem das Gewölbe erfüllt war. Er ließ den Blick über die Reihen der Anwesenden schweifen, so als würde er jeden Einzelnen von ihnen einer Prüfung unterziehen. »Wir können keinen Krieg gegen eine Macht führen, die jede unserer Absichten kennt. Die meisten wird unser Gegner leider ohnehin erahnen, oder er hat es schon getan. Wenn wir nicht wenigstens einen kleinen Bereich vor dem gedanklichen Zugriff Morygors schützen, stehen wir auf vollkommen verlorenem Posten und könnten gleich unsere Schwerter und unsere Magie in den Dienst dessen stellen, der sich anschickt, ganz Erdenrund zu einem Reich der Kälte zu machen.«
Meister Yvaan machte eine Pause. Es herrschte Schweigen im Gewölbe.
»Und nun gebe ich das Wort dem ehrenwerten Meister Morgun, der uns helfen wird, unseren Orden, der bereits untergegangen ist, neu zu gründen.«
Ein sehr alter Ordensmeister trat vor. Er war von eher korpulenter Gestalt, und der weiße Bart reichte ihm bis zum Rippenbogen. Meister Morgun war ein Magiemeister. Gorian war ihm zwar nie persönlich begegnet, aber eine Reihe von Lehrbüchern über die Magierkunst aus seiner Feder hatten ganze Regalreihen in der Bibliothek der Ordensburg gefüllt, und so ziemlich jeder kannte seine Interpretationen der Axiome des Ersten Meisters.
»Seid gegrüßt, Ihr Meister des Ordens der Alten Kraft«, sagte Morgun. »Ich bin alt, und ich hatte die Ordensburg auf Gontland schon viele Jahre vor ihrem Fall nicht mehr betreten. Das milde Klima auf Margorea tat mir gut und linderte meine Altersleiden besser, als selbst die Heilkunst meiner geschätzten Meisterkollegen aus dem Hause des Heilens dies vermochten.«
Ein Raunen erklang, denn so mancher unter den Heilern sah in diesen Worten einen Affront. Aber wenn es jemanden gab, dem eine solche Bemerkung nachgesehen wurde, dann war das Meister Morgun, denn seine Verdienste für den Orden waren ebenso unbestritten wie seine Fähigkeiten als Meister der Magie.
»Während viele derzeit versuchen, einen Platz auf einem der Schiffe zu ergattern, die nach Margorea segeln, habe ich den umgekehrten Weg gewählt, denn der Kampf gegen Morygor verlangt, dass wir auch die letzten Kräfte aufbieten. So bin ich zu euch gekommen, zumal die Gefahr besteht, dass das Wissen des Ordens mit ihm selbst verloren geht. Wir werden viel Glück und viel Kraft brauchen, um den Feind wenigstens aufzuhalten. Ein Blick zur dunklen Sonne am Himmel lässt jeden sich die Frage stellen, ob ein Sieg überhaupt noch möglich ist. Aber wenn ich mich in nicht allzu ferner Zukunft vor dem Gericht des Verborgenen Gottes verantworten muss, dann will ich nicht sagen müssen, dass ich es nicht wenigstens versucht hätte. Davon abgesehen gibt es Zeichen der Hoffnung, auch wenn sie glimmenden Kerzenlichtern im Sturm gleichen. Wir haben das Nord-Eldosische Gebirge zu einem großen Bannstein gemacht, was uns helfen wird, Zeit zu gewinnen. Und wir
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