Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
militärisch-industriellen Komplex. Von Abtreibungsgegnern und Nulltoleranz. Von hochverzinslichen Risikoanleihen und Blankoverkäufen. Von Immobilienblasen und negativem Eigenkapital. Fatwa und Jihad. Ethnischen Säuberungen und Rückführungen. Er sieht Fotos, aufgenommen in heißen, staubigen Winkeln arabischer Länder: zwei schwule Jungs, erhängt. Eine Ehebrecherin, flehend, bis zu den Schultern im Sand eingegraben, nur ein paar Meter entfernt ein Mob von Männern, grobe Steine in den Händen, die sie prüfend abwägen. Er wendet sich dem Computer zu und klickt auf dem Desktop einen Ordner mit der Bezeichnung ISLAMISCHER FUNDAMENTALISMUS: ÜBERZEUGUNGEN UND BRÄUCHE an. Mmm, etwas namens TALIBAN. Okay, was hat es mit diesen Typen auf sich? Sieht ganz so aus, als würden sie vor allem mit ihren abstrusen Monsterbärten protzen ...
Ein paar Minuten später hört Jeannie durch die schweren, kathedralengroßen Türen gedämpfte Schreie und Flüche. Gegenstände werden umgetreten.
Gott liest über die Burka und den Hidschab. Wenn Er die schräge Logik dieser Typen richtig versteht, lautet deren Argument in etwa so: Alle Männer sind im Grunde genommen latente Vergewaltiger, die man nicht provozieren darf, nicht einmal durch das Aufblitzen eines Knöchels. Also müssen die Mädels von Kopf bis Fuß in schwarze Säcke gehüllt herumlaufen. Alle Frauen wiederum sind prinzipiell mannstolle Huren, die rund um die Uhr auf einen Fick scharf sind. Wenn sich also eine von ihnen an einen guten, aufrichtigen, verheirateten Mann ranschmeißt, indem sie beispielsweise schamlos ihr, sagen wir mal, blankes Knie enthüllt, und er daraufhin kapituliert und sie vögelt, dann ist es nur angemessen, sie dafür buchstäblich zu Tode zu steinigen—wobei die Männer einen Kreis bilden und ihr aus nächster Nähe mit aller Wucht Steine an den Kopf werfen –, während der
beteiligte Kerl mit einem Strafzettel davonkommt. Gott liest weiter, eine Liste der Dinge, mit denen diese Taliban-Typen entschieden nichts zu tun haben wollen: Schweinefleisch, Schweine, Schweinefett, Echthaarprodukte, Satellitenschüsseln, Kinematografie, Musik und Geräte, die dem Musikgenuss dienen, Billardtische, Schach, Masken, Alkohol, Videokassetten, Computer, Videorekorder, Fernseher, alles, was Sex propagiert, Wein, Hummer, Nagellack, Feuerwerkskörper, Statuen, Handarbeitskataloge, Bilder und Weihnachtskarten.
Handarbeitskataloge?
Er liest über die Hinrichtung von Homosexuellen. Das Steinigen und Auspeitschen von Menschen für ... nun, eigentlich für so gut wie nichts. Über ein sechzehnjähriges Schulmädchen, das für etwas gehängt wurde, das sie »Verbrechen gegen die Keuschheit« nennen.
Dann, um einen ausgeglichenen Blick bemüht, sieht Er sich einen flüchtigen Abriss der populärsten amerikanischen Fernseh-Shows an. Ein regelrechter Gangbang pseudo-dokumentarischer Possen: abgeschmackter Über-Nacht-reich-und-berühmt-Quatsch. Und für einen winzigen Augenblick hat Er eine Vision, wie sich diese Taliban-Typen fühlen müssen: Du hockst da, in deine Höhle gepfercht, mit deinem AK-47 und einer Schale voller grauer, stinkender Pampe, und fantasierst darüber, eine Ziege zu ficken, während du dir Amerikas neueste Top-Schlampe trifft die Kardashians reinziehst. Gott verspürt instinktiv das Bedürfnis, das Fernsehen eigenhändig zu verbieten.
Ein Mittags-Snack, bestehend aus zwei Fingerbreit Single Malt und einem fetten Joint, hilft Ihm dabei, auch noch die jüngste Vergangenheit zu überstehen: Abholzung der Regenwälder. Globalisierung. Kollateralschaden. Markenbewusstsein. Marketing. Product-Placement. Unternehmenssponsoring. Geplanter Verschleiß. Republikaner .
Den Rest der Mittagspause weint Gott bitterlich.
Im Vorzimmer hat Jeannie die Jungs in die Pause geschickt. Sie beißt sich auf die Lippe, während sie Seinem Schluchzen lauscht, einem Geräusch, das sie noch nie zuvor gehört hat. Denn abgesehen von Seinem geselligen, liebenswürdigen Auftreten ist Gott durch und durch oldschool : ein harter Bursche. Ein ganzer Mann. Dann wird es für eine lange Zeit still.
Als Gott die Türen aufreißt, hat Er sich wieder gesammelt. Nur ein leichtes Kratzen in Seiner Stimme könnte einen Hinweis darauf geben, was eben geschehen ist. Jeannie blickt zu Ihm auf und schluckt. Jetzt wirkt Er nicht mehr untröstlich, sondern sieht nur noch sehr, sehr wütend aus. Was eigentlich ein gutes Zeichen ist, findet Jeannie.
»Jeannie«, sagt Gott mit sanfter
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