Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
halten? Alle anderen hatten den Jungen in ihr Herz geschlossen. Verlangte Er von Seinem eigen Fleisch und Blut einfach zu viel?
Als Er schließlich bemerkt, dass Jesus mit den Tränen ringt, atmet Gott einmal tief durch, hält einen Augenblick inne und kommt dann hinter dem Schreibtisch hervor, um sich an Jesus’ Seite auf die Tischplatte zu setzen. Sein Ton wird sanfter. »Versteh mich bitte nicht falsch, du hast dir ein bisschen Erholung mehr als verdient, gar keine Frage. Aber ich dachte, du würdest, weißt du ... ein wenig auf den Laden aufpassen, während dein alter Herr nicht in der Stadt ist.«
»Es ist ja nur ... die Leute aus dem 20. Jahrhundert, die ich kennengelernt habe, schienen alle ganz cool drauf zu sein.«
Gott seufzt. »Du bist im Himmel, Dummerchen. Natürlich sind sie cool drauf. Und außerdem siehst du in den Menschen eh immer nur das Beste.«
Für einen kurzen Moment starren Vater und Sohn schweigend auf die Tafel, die ungeheuerlichen Fakten und Ziffern, die Namen und die verschiedenen Fotos, die Gott an die weiße Fläche geheftet hat: die Stapel nackter, skelettartiger Leichen hinter Stacheldraht; die Kinder mit den geschwollenen Bäuchen, die auf Beinen, so dünn wie Pfeifenreiniger, ihre leeren Schüsseln umklammern; ein monströses Atom-U-Boot.
»Scheiße«, sagt Jesus leise. »Was ist bloß aus SEID LIEB geworden? «
»Seid lieb.« Gott liebte diesen Spruch, den er von den Schwulen übernommen und zu seinem ersten und alleinigen Gebot erhoben hatte. Wann immer Er darüber nachdachte, wie wundervoll schlicht diese Worte doch waren, durchzuckte Ihn automatisch der folgende Gedanke: verfickter Moses. Was für ein arroganter Flachwichser bringt es fertig, das eine Gebot, das ihm gegeben wurde, in die Tonne zu kloppen und dann mit zehn eigenen aufzutauchen? Moses, ganz genau. Moses, das wussten alle, hatte immer schon ein paar Schrauben locker gehabt. Ein paar Schrauben locker? Der Kerl hatte einen gewaltigen irreparablen Dachschaden. All diese gruseligen Vorschriften über so kranken Scheiß, wie zum Beispiel, den Ochsen seines Nächsten zu begehren? Wozu sollte das gut sein? Was hatte der Dreckskerl sich davon versprochen, alles mit einer gehörigen Portion Schmuddelsex aufzupeppen? Macht. Ehrgeiz. Ego. Die üblichen Gründe eben, aus denen etwas passierte.
»Genau das werden wir herausfinden«, sagt Gott, klatscht in »Packen wir’s an«-Manier in die Hände und drückt die Taste der Gegensprechanlage auf Seinem Schreibtisch. »Jeannie? Alle leitenden Heiligen in den Konferenzraum bitte, sofort.« Während Er das sagt, kann Gott einen erneuten Seufzer nicht unterdrücken. Denn Gott hasst »Konferenzen«. Ständig vergeudet man seine Zeit in Konferenzen, immerzu damit beschäftigt, Feuer zu löschen, Probleme zu lösen.
»Schon passiert, Herr. Sie warten dort bereits auf Euch.«
»Braves Mädchen. Und, Jeannie?«
»Ja, Herr?«
»Sandwiches, Kaffee und Donuts, bitte. Es wird etwas länger dauern ...«
4
V IER SEHR NERVÖSE HEILIGE - PETRUS, MATTHÄUS, ANDREAS und Johannes - sitzen um den Konferenztisch, rauches und schütten Kaffee in sich hinein. In die Glasplatte des gewaltigen Tisches ist mit feinen Linien eine Weltkarte geätzt. Vor jedem der Heiligen liegt ein Stapel Papiere.
Petrus’ Stapel ist ein von sämtlichen Abteilungen vorbereiteter Gesamtüberblick. Als leitender Geschäftsführer des Himmels liegt die Verantwortung theoretisch bei Petrus. Aber aufgrund einer vagen Ahnung dessen, was dort unten gerade im Namen der Religion angerichtet wird, hatte Petrus als Einziger den Mut besessen, Gott darauf hinzuweisen, dass ein Urlaub womöglich nicht die allerbeste Idee sei. Dank dieser Tatsache und seiner Position als Gottes Consigliere ist er momentan einen Tick weniger nervös als seine Kollegen.
Matthäus’ Stapel besteht, wie es sich für einen ehemaligen Zöllner und Steuereintreiber geziemt, um Statistiken, Fakten und Ziffern. Matthäus hat lichtes Haar, trägt eine Brille und trinkt mit zitternder Hand aus seinem Wasserglas. Darüber hinaus besitzt er eine der langweiligsten Stimmen im Himmel wie auf Erden: ein monotones Säuseln, mit dem er noch die schönste Prosa zum Telefonbuch zu degradieren vermag.
Andreas’ Stapel ist klein und bezieht sich hauptsächlich auf das 20. Jahrhundert. Der Schutzheilige von Schottland wäre aus irdischer Sicht wohl am treffendsten als Gottes
Spindoktor und Imageberater beschrieben. Andreas ist gut in seinem Job, doch er
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