Gott Braucht Dich Nicht
Damit Gott kommt.
Ja. Die ersten Minuten sind durchaus ein kleiner Krampf.
Er lässt nach.
Papa betet dann. Und dankt für seine Familie. Und er weint. Und Mama auch. Wir Kinder weinen auch, aber nicht aus Angst. Wir glauben, dass so, wie wir da als ganze Familie bittend vor Gott sitzen, ein Wunder geschehen kann.
9
«Da liegt jemand in der Sauna. Mit Klamotten. Ich weiß nicht, ob der tot ist, aber schaff ihn da raus.» Meine Schwester stand in meiner Zimmertür und sah ziemlich sauer aus. Ich drehte mich im Bett um. Stützte mich leicht auf. O Gott, mein Schädel. Den bekam ich gar nicht hoch. «In zwei Stunden kommen Mama und Papa wieder, und es ist so asozial, wenn die sehen, wie es hier aussieht. Papa geht’s scheiße, Esther. Räum den Müll auf und schick die Typen weg.» Ich konnte gar nicht denken.
«Papa geht’s immer scheiße», sagte ich, und Steffi ging raus. Papas erste Chemo hatte angeschlagen. Das hatte unserem leisen Vertrauen in Gott entsprochen, das wir Kinder vor allem durch das erste Gebet bekommen hatten. Aber dann war der Krebs zurückgekehrt, lachender, kreischender als vorher. Lauter und stinkender. Mama und Papa taten alles, was sie konnten. Papa hielt sein Versprechen: Er kämpfte. Sie flogen nach Amerika, sie gurkten durch Deutschland, sie telefonierten bis nach Jerusalem und kauften Tees von afrikanischen Medizinmännern. Wir Kinder waren öfter allein zu Hause.
Ich wollte mich umdrehen und wieder schlafen, damit der Kopf zu brummen aufhört. Aber ich dachte an Papa, stellte mir vor, wie er im Auto saß mit Schmerzen, wie er mit Mama von irgendeinem Krankenhaus in Deutschland zu uns zurückfuhr. Und ich nutzte aus, dass es mich wütend machte, um aufzustehen, ging zur Sauna, schaltete sie ab, öffnete die Tür. Es war bullenheiß und roch so absurd, dass ich es gar nicht beschreiben kann. Im Aufgusseimer lag eine Bierflasche, und auf einer der Liegen lag ein Junge. Komplett bekleidet. Einschließlich Sportsocken. Einen Arm hatte er aus dem Ärmel seines Sweatshirts gezogen. Knallrote Birne, offener Mund. Dass er noch atmete, merkte ich vor allem am Geruch. Ich rüttelte ihn.
«Du musst gehen, meine Eltern kommen gleich wieder.»
Auf dem Weg durch den Waschkeller sah ich, dass fremde Klamotten vor dem Trockner lagen, dann schaute ich in den Trockner hinein und holte ein Päckchen Drogenzeugs raus, das dieses Deppenpaar, das heut Nacht hier aufgetaucht war und das ich gar nicht richtig kannte, mitgeschleudert hatte. Meine Eltern hassten Drogen. Papa so sehr, dass er nicht mal Morphium nehmen wollte. Er hörte stattdessen die Fugen von Bach. Lag dann im Wintergarten, und ich stand oder saß oft heimlich hinter der Tür und lauschte dem strengen Takt, den hohen Tönen, die der Pianist manchmal mitsummen musste, weil er es gar nicht anders aushielt, und dem Stöhnen meines Vaters und hoffte, das weiß ich noch, dass dieses strenge, besondere Musikkorsett die Schmerzen irgendwie einfängt und bändigt, oder so. Dass es sie erzieht. Papa wusste nicht, dass ich ganz oft heimlich mithörte, und er wusste auch nicht, dass ich manchmal hinter der Tür saß und mir in meiner Enttäuschung die Tränen in den Pulliärmel drückte, wenn die Musik plötzlich mittendrin ausgemacht wurde und klarwurde, dass Bach verloren hatte und Papa mit der Faust vor Schmerz gegen den Kaminsims schlug.
Mit den Kleidern im Arm wankte ich mit brennenden Kopfschmerzen die Kellertreppe nach oben. Im Kaminzimmer lagen zwei Nackte. Auf dem Steinboden.
«Alter», sagte Johannes, der verpennt in Boxershorts in der anderen Tür auftauchte und staunend grinsend auf das Paar sah, «wer sind ’n die?»
«Keine Ahnung», sagte ich, «aber guter Hintern eigentlich.»
Wir lachten, davon wurde das Paar wach, und ich schmiss ihnen schnell den Kleiderberg über die Pöter, bevor sie sich zu räkeln begannen.
Das Telefon klingelte. Johannes ging ran. «Mh. Okay», sagte er, «ja. Nee, nur ’n bisschen gefeiert.» Ich wusste, dass das Mama war. «Mh, mach ich. Ja. Bis gleich.»
Er kam wieder ins Kaminzimmer. «In einer Stunde. O Mann, ey.» Er rieb sich das Gesicht, fuhr mit beiden Händen durch seine Haare und kratzte sich den Kopf. «Papa geht’s nicht so gut. Schickst du die Leute weg, ich kümmer mich um die Flaschen, ja?» Ich nickte.
Wir Kinder kamen selten mit in die Krankenhäuser. Wir waren zwar öfter allein, aber wir beteten fast gar nicht mehr zusammen. Wir waren so müde geworden nach den Monaten vom Auf
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