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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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taub.
    Danach rannte ich wieder zu Johannes, sagte ihm, dass wir beten müssten wegen Papa – und er sah mich wieder mit diesen großen ängstlichen Augen an, sagte leise «okay», und dann beteten wir und reisten mit diesen Gebeten, wie als Kinder, als wir Abenteuerkram gespielt hatten, zusammen in die Dunkelheit – nur dass wir dieses Abenteuer nicht wollten – und dass man die Dunkelheit nicht kannte und dass man sich den Feind nicht ausdenken konnte, dass es keine Lagerfeuer gab, keine Rüstungen, keine Stöcke, mit denen man irgendwo gegen schlagen konnte, sondern immer nur Worte, seine Stimme, meine Stimme, und um uns standen Schreibtische, Stühle, eine Schreibtischlampe brannte, ein Vogel zwitscherte leise draußen, die Kirchturmglocke schlug eine Uhrzeit, die Schulglocke bimmelte, alles blieb harmlos, im harmlosen, warmen, hellen Holzton von Schuleinrichtungen und Aufenthaltsräumen, und das alles, obwohl eigentlich Krieg war.
    Wir fuhren am Wochenende hinunter in die Stadt zum Krankenhaus. Und abends fuhren wir wieder rauf. Mit dem Zug. Und sprachen immer weniger. Und knallten uns danach Schnäpse rein, weil es dann besser ging mit dem Witzeln mit den Freunden.
    Als Steffi in jenem Februar ins Krankenhaus kam, um Mama abzulösen, ging es Papa sehr schlecht. Seine Kraft hatte in den letzten Wochen so abgenommen, dass ich jedes Mal in Mamas Armen heulte, nachdem ich in seinem Zimmer war, und sie fragte, warum er denn jetzt nicht mehr richtig mit mir spricht, warum er denn so viel schläft, auch wenn ich ihn besuche. Der Krebs tobte sich an ihm aus.
    Steffi hatte ihn seit Wochen nicht gesehen. Sie boxte sich allein zu Hause durchs Abi. Ich war nur froh, dass sie endlich da war. Ich bemerkte gar nicht ihren Schreck, als sie Papa dann sah.
    Weil wir so gern kurz alleine sprechen wollten, verließen wir das Krankenzimmer. Johannes saß bei Papa am Bett und hielt seine Hand, und mit der anderen hielt er sein Vokabelheft, aber er sah nicht hinein. Mama saß daneben. Wir Schwestern fuhren mit dem Lift ins Erdgeschoss, gingen an der Kantine vorbei, an der Vitrine mit dem Schmuck aus Nepal, wurden von der automatischen Glasschiebetür zum hundertsten Mal erkannt, sie schoss leise auseinander, und wir traten in die kalte Winterluft zum Parkplatz, wo Mamas Auto stand.
    Der große Platz war fast leer, ein paar kahle Bäume mit beschnittenen Ästen guckten an manchen Stellen aus dem Beton. Der kleine Kiosk hatte die Rollläden unten, der hässliche Siebziger-Jahre-Glockenturm am Rand des Parkplatzes stand still.
    Wir setzten uns in den geparkten Wagen. Ich weiß noch, wie ich beim Einsteigen die Luft in dem Golf gerochen habe. Ein wenig säuerlich gegoren (von dem Federweißen, der einmal im Kofferraum ausgelaufen war), nach Teppich und unserem Hund, vermischt mit dem süßen Geruch von Erd- und Himbeere von der geöffneten Tüte Yoghurt Gums, die Steffi sich auf der Fahrt an der Tanke gekauft hatte. Wir saßen da in Mamas Auto auf dem riesigen Parkplatz vor dem großen weißen Klinikgebäude, und ich genoss die paar Meter Heimat, die uns auf den Vordersitzen umgab. Ich erzählte Steffi von der Schule, von den Jungs, den Freundinnen und davon, dass Mama mich gegen einen der Patres verteidigt hatte, als er unterstellte, dass man auf mich in Bezug auf das andere Geschlecht besonders aufpassen müsse.
    «Was hat sie denn gesagt?», fragte Steffi.
    «Ich weiß nicht genau, irgendwas wie, dass er selber auf seine Projektionen aufpassen müsse, oder so, cool, ’ne? Die war richtig sauer», und dann sprach ich davon, dass ich mit Papa überlegt hätte, dass wir irgendwann bald mal wieder nach Spanien fliegen. «Ich kümmer mich auch um die Flüge. Hab ich ihm versprochen. Hat ja die Dings, wie heißt se, die Britta auch gemacht mit ihrer Familie. Die hat eine Russlandreise organisiert. Hätte ich auch Lust zu, das mal selber zu organisieren. Und ich glaube, Papa würde auch ganz gerne mal wieder in die Sonne. Zumindest hat er genickt, als ich gesagt habe, dass ich mir die Nummer vom Reisebüro besorge.»
    Steffi antwortete nicht. Sie sah mich nur mit aufgerissenen Augen an.
    «Esther», sagte sie laut und stockte, als wartete sie darauf, dass mein Name reicht, damit ich wüsste, was sie sagen wollte.
    «Papa stirbt!» Das letzte Wort hatte sie betont.
    Ich erinnere mich noch an diesen Moment im Wagen, damals mit Steffi, unter anderem, weil ich dort in den Sekunden gemerkt habe, wie unfähig ich war, ihr zu widersprechen.

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