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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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rief jemand: «Anni! Verdammt noch mal, Anni, pass ma auf die Gören auf!»
    Anni kam mit Johannes an der Hand, und wir fuhren nach Hause. Ich hatte kein Trauma. Ich wurde mit Fleisch gefüttert als Kind. Wurstbrote. Kinderwurst beim Metzger. Das konnte ich mir gar nicht aussuchen. Genauso wenig wie meine Taufe. Da wurde ich auch nicht gefragt. Das Erste, was ich getrunken habe, war Milch. Dann kam Gemüse und mit dem ersten Zahn das Fleisch.
    Ich hab von Anfang an hier mitgemacht.

2
    «Eitel» – zischte es. «Du bist ein eitles Ding.»
    Als ich mich umdrehte, mein Zopfband zwischen die Zähne geklemmt, beide Hände am Hinterkopf und meinen Pferdeschwanz haltend, den ich, weil er mir beim Spielen total verrutscht war, noch mal schnell geradebinden wollte, sah ich in das Gesicht einer alten Frau. Sie hielt ein Kind rechts, eins links fest an der Hand, stand hinter mir im Kircheneingang und sagte: «Gott will nicht solche eitlen kleinen Dinger, die ihr schönes Haar zeigen. Da macht man so.» Sie ließ die Kinder von den Händen, neigte ihren Kopf, auf dem über blaustichiger Dauerwelle eine Mütze, einem selbstgestrickten lila Teewärmer nicht unähnlich, thronte, und faltete die Hände. Dann sah sie ruckartig wieder zu mir auf.
    «Nicht dieses», sie verdrehte die Augen und machte ein paar Gesten, die wohl Eitelkeit bedeuten sollten, «ach, mein Haar, und bin ich hübsch in der Kirche.» Dann fuhr sie mit ihrer Hand in die Tasche, kramte ein Taschentuch hervor, wischte sich einmal schnell über den Mund, steckte es zurück und griff mit der gleichen Geschwindigkeit wieder nach den Händen der Kinder, die normalerweise im Kommunionunterricht schon alleine laufen konnten, zog sie mit sich und ging, uns allen voran, nach vorne zu den ersten Bänken.
    Diese Frau war eine Vertretung im Kommunionunterricht. Ich hatte danach nichts mehr mit ihr zu tun, aber ich hatte Angst, dass sie eine direkte Vertretung Gottes war.
    Ich wollte einfach nur ordentlich in die Kirche gehen. Mit einem Pferdeschwanz, der nicht direkt neben meinem rechten Ohr beginnt und dasselbe nach vorne biegt, während die Hälfte meines Haares auf der anderen Seite, vom Wollpulli elektrisch aufgeladen, in der Luft wie geisterhafte Spaghetti tanzt.
    Ich war das einzige Kind, welches nach der Erstkommunion nicht Messdiener wurde. Ich wollte nicht. «Ich dien, doch nicht dem Pfarrer», sagte ich zu meiner Mutter. «Du dienst ja auch nicht dem Pfarrer als Messdiener, sondern Gott», erwiderte sie, aber das war meiner Meinung nach damals eine Ausrede. Die ganze Messe war auf den Pfarrer ausgerichtet. Er stand hinter seinem Altar wie meine Lehrer hinter ihren Pulten, und wir mussten davor knien.
    Ähnlich war es mit der Beichte. Ich hatte eigentlich schon Lust, mal in so einem Beichtstuhl zu sitzen, aber dann mussten die Kommunionkinder ein Beichtgespräch führen, weil man den Beichtstuhl zu unpersönlich fand. Vielleicht. Ich weiß es nicht, vielleicht hatten wir in unserer Kirche auch keinen. Man hatte mir über die Beichte Ähnliches gesagt wie über das Messdienen, nämlich dass man seine Sünden nicht dem Pfarrer beichtet, sondern Gott, und das fühlte sich nun aber, durch dieses persönliche Beichtgespräch von Angesicht zu Angesicht mit dem Pfarrer, ganz und gar nicht so an. Am Abend vor meiner Erstkommunion lag ich im Bett, und als ich betete, hoffte ich, dass ich Gott am anderen Morgen treffen würde in der Kirche. Wir Kommunionkinder mussten dann im Halbkreis um den Altar stehen, mit den Gesichtern zur Gemeinde. Alle sahen uns an. Jedes Kind bekam eine Hostie auf die Hand, und bei «drei» (als der Pfarrer wieder an seinem Platz stand) mussten wir sie greifen und in den Mund stecken. Irgendwas daran verletzte meine Scham. Ich sah kauend auf meine Füße.
    Im Großen und Ganzen hatten meine Eltern Verständnis für uns Kinder, wenn wir die Kirche langweilig fanden. Überhaupt entstand bei mir der Eindruck, dass eigentlich die meisten Leute die Kirche noch nicht so perfekt fanden, wie sie sein sollte. Es lag damals in meiner Kindheit in den Achtzigern etwas in der Luft, das sich schwer beschreiben lässt: etwas Unvollendetes, könnte man sagen. Irgendein Ziel war noch nicht erreicht.
    Es wurde zu wenig für die Jugend getan. Das hörte ich.
    Manchmal spielte eine Band bei uns in der Messe fetzige Lieder wie «Laudato si» und irgendein Lied, das von einem verlangte, einen Baum zu pflanzen, der Schatten wirft, und ein Haus zu bauen, das uns

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