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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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Anwesenheit Gottes – das sei es gewesen, und die Erfüllung der Liebe in einem einzigen Raum aus Frieden. Sie bedauerte, dass wir nicht dabei waren.
    «Das hätte dich so getröstet, Esther. Und ich kann es dir nicht vermitteln. Es war schön.» Und ich wollte davon nichts hören. Ich fragte sie immer, woran er denn gestorben sei. Immer wieder. Weil ich es nicht verstand.
    Einmal kam der Pastor zu uns nach Hause. Wir tranken Kaffee auf der Terrasse zwischen den abgefressenen Rosen. Aber das half auch nicht. Jeden Tag im Sommer saß meine Großmutter im Rollstuhl dort draußen, mit einem großen schwarzen Sonnenhut auf der weißen, hochgesteckten Frisur und einer riesigen braunen Sonnenbrille. Sie kicherte, wenn sich eine Amsel aufregte und empört durch den Garten krakeelte. Sie sagte «Je, nei, wie nett», wenn ein Vogel sich mit schönem Gezwitscher verausgabte. Sie bekam die Kommunion von der Gemeindereferentin. Auf der Terrasse unter der roten Markise. Die blinden Augen waren dabei geschlossen. Ich saß ihr gegenüber. Ich blieb immer bei Oma, immer in ihrer Nähe, wenn jemand kam – Sozialstation, Pfarrer, Arzt –, und beobachtete, was sie mit ihr machten. Ich saß im Stuhl zurückgelehnt, sah über die Kaffeetasse hinweg zu, wie Oma den Mund öffnete und die Gemeindereferentin ihr vorsichtig die kleine weiße Hostie auf die Zunge legte, und wunderte mich, dass Oma so wirkte, als verstünde sie, was da gerade geschah. Ich trank meinen Kaffee, beobachtete es genau und wusste nicht, was das war. Diese Oblate. Und verstand nicht dieses riesige System, das aus dem Glauben an Gott und Christus geworden war. Diese tausend kleinen Details und Dingelchen dieses Glaubens. Ich staunte darüber, wie viel darum herum gebaut worden war und warum der Laden nicht in die Luft flog, warum er nicht riss, warum der Kelch mit dem Wein nicht andauernd verschüttet wurde, warum sie weitermachen konnten, Gemeindereferentinnen bezahlten, Messdienergewänder nähten, Oblaten buken, Flyer druckten, und warum sich deren Gott offenbar so gut hielt, dass man den ganzen Palast drumrum dicker und dicker machen konnte. Das kapierte ich nicht.
    Ich fragte mich, von welchem Gott sie wussten, denn meiner, der war so breit und dreist und da und nicht da wie dieser beschissene blaue Himmel, diese Farce von gutem Wetter und Vogelgezwitscher und brummenden kleinen roten Käferchen, besoffenen Hummeln und Gänseblümchen – und all das war so geschmackvoll wie das Sträußchen in Papas eiskaltem Smoking im Sarg.

9
    Es war schon dunkel, als ich aus der Schule kam. Die Luft hing kalt und nass über der schlecht beleuchteten Straße. Oben auf dem Berg, dort, wo die Straße eine Kurve machte, lag unser Haus. Im oberen Stockwerk war ein schwaches Licht. Omas Zimmer. Ich klingelte. Mama machte nicht auf. Die Türglocke funktionierte nicht mehr richtig, und man hörte sie oft nicht. Also fing ich an, in meiner Schultasche nach meinem Schlüssel zu kramen, der irgendwo zwischen die Seiten eines Buches gerutscht war.
    «’n Abend», sagte jemand. Hinter mir. Irgendein Nachbar, der seinen Hund spazieren führte. «Hallo», grüßte ich zurück.
    Ich schloss die Tür auf und ging durch den dunklen Flur, sah ins Wohnzimmer. «Mama?» Keine Antwort. Ich machte Licht im Flur und stieg die Treppen rauf in den ersten Stock. «Mama?» Da saß sie. Vor ihrer Schlafzimmertür. Das Gesicht in den Händen. «Mama?» Ich setzte mich neben sie auf den Boden. «Is’ was passiert?»
    «Ach», sagte sie abwehrend und rieb sich kurz das Gesicht. Dann stand sie schnell auf, «es stinkt so wahnsinnig». Sie kramte nach einem Taschentuch, schnäuzte sich.
    «Was denn?», fragte ich. Ich saß nun sinnlos allein da unten auf dem Boden. «Ach», sagte Mama. Und dann bockig wie ein Kind: «Ich geh da nicht mehr rein. Das muss jemand anderes wegmachen. Ich geh da nicht mehr rein. Ich kann das nicht.» Ich erhob mich, um sie zu drücken. «Was denn?»
    «Da ist irgendwas hinter dem Schrank verendet, irgendein Viech», meinte sie und machte eine wegwerfende Handbewegung, löste sich aus der Umarmung und ging über den Flur zu Oma ins Zimmer. Man hörte Omas Stimmchen, und dann die Stimme meiner Mutter, die schon wieder beherrschter klang. Ich schmiss meine Schultasche auf die Treppe und öffnete die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern. Das Zimmer war dunkel. Man sah die Umrisse vom Ehebett, die helle Tagesdecke, die darauf lag – eine Seite glatt auf der Matratze, unter der

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