Gott Braucht Dich Nicht
Deine Oma.»
Ich brach fast zusammen vor Lachen. Schwester Veronika war schon wieder in Omas Zimmer verschwunden. Mama sah mich streng an und sagte: «Also, Esther, nein, das geht wirklich nicht. Sie kann nicht einfach die Schwester Veronika beißen.» Ich heulte vor Lachen. «Ich weiß», sagte ich, «jeden, bitte sehr, aber doch nicht die Schwester Veronika.» Ich schrie fast vor Lachen. Mir liefen die Tränen, und ich blieb unten an der Treppe und musste mich setzen. Mama ging mit schüttelndem Kopf, ernst und ärgerlich die Stufen hinauf. Und dann hörte ich, wie sie mit Oma schimpfte.
«Also gell, Mammele, das geht nicht. Du kannst doch nicht einfach die Schwester Veronika beißen.»
Ich lief die Treppen nach oben, blieb vor Omas Zimmer kurz stehen, versuchte, mich zu sammeln, um nicht vor Schwester Veronika sofort wieder loszuprusten. Im Zimmer saß Oma grazil im rosa Nachthemd auf ihrem Stühlchen und hatte die Zähne aufeinandergepresst.
«Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr jetzt die Zähne putzen möchte, also, dass sie die mir bitte geben soll, und dann hat sie einfach nach mir gebissen», sagte Schwester Veronika mit zitternder Unterlippe. Sie war so tief verletzt, dass es mir leidtat, aber das machte die Sache nicht weniger komisch.
Ich trat ins Zimmer: «Wahrscheinlich wollte sie einfach nur nicht ihr Gebiss hergeben», sagte ich. «Oder sie dachte, Ihr Finger sei was zu essen?»
Aber Schwester Veronika glaubte das alles nicht. Mama entschuldigte sich bei ihr und schimpfte noch ein bisschen mit Oma. Schwester Veronika machte für heute Feierabend, und als unten die Tür zuging, begann Mama zu lachen und konnte nicht aufhören. Sie lachte und lachte und hielt sich vor Schmerzen die Hand an den Bauch. Ich auch. Dieser ganze Irrsinn hier, irgendwie war der gut. Ich hätte eine Blaskapelle spielen lassen. Was sollte man auch sonst tun. Alles ist bekloppt, die Welt hält sich nicht an unsere Spielregeln, Krebs hält sich nicht an unsere Regeln – schnapp. Oma auch nicht. Ich lachte.
10
Bei uns im Haus saß ich meistens auf dem Dachboden. Da stopfte ich mir manchmal eine von Papas Pfeifen mit dem alten vertrockneten Tabak, versuchte, sie zu rauchen, und dachte an Tod. Ich hatte keinen eigenen Gedanken über ihn. Brauchte ich vorher ja auch nicht. Mein Großvater war gestorben, als ich acht war. Nach der Beerdigung hatten wir einen Spaziergang im Wald gemacht. Da war der Boden voll roten Laubes, und überall schossen Pilze aus der Erde, und ich erinnere mich an die Frage, wo Opa nun sei. Ob dieser Weg hier im Wald auch durch den Himmel führe, denn, wenn er, wie das die Großen sagten, «noch bei uns» war, dann musste es diesen Weg im Himmel geben, oder der Himmel war hier. Oder so.
Das war alles, was ich zum Tod an Gedanken hatte, bis zu dem Zeitpunkt, als mein Vater dann starb. Natürlich hatte ich auch diese Phase in der achten Klasse oder so, in der ich Reinkarnation sehr viel ansprechender fand als Himmel und Hölle. An die Hölle glaubte ich sowieso nicht. Das musste man als Katholik auch gar nicht. Glaubten die anderen auch nicht. Außer für Hitler vielleicht.
Reinkarnation also. Das waren aber keine wirklich weitreichenden Gedanken, die mir dazu kamen. Meine Freundinnen und ich fanden einfach nur, dass Reinkarnation sympathischer klang. Und es hatte uns ja auch keiner gesagt, dass man auch als Stein wiedergeboren werden kann. Es sah also relativ dürftig aus in meinem Kopf, als Papa starb.
«Er lebt weiter», sagten die Christen. Das kannte ich schon. Bei Gott geht keiner verloren. Und ich dachte: «Jau. So wünsch ich mir das auch. Und eine Hüpfburg aus Zuckerwatte, und bitte sehr nur die Menschen im Himmel, die ich mag. Also so circa vier bis fünf. Danke.»
Ich wollte, dass Gott aus meinem Denken ganz verschwindet, ich wollte sauber aufräumen darin. Und dazu gehörte als Erstes, den Gedanken zulassen zu müssen, dass dieses Leben mit dem Tod beendet wird. Das war schrecklich. Das war sehr, sehr beängstigend, und ich ging damit wie auf Eiern. Ich war auch noch nicht entschieden dafür am Anfang. Ich hatte, wie gesagt, kaum kluge Gedanken dazu, und darum nahm ich das, was ich aus der Umwelt so mitbekam, und arbeitete mich daran ab. Ich hörte sensibler hin, wenn es um Tod ging. Wenn meine Mutter abends durch das Fernsehprogramm zappte und bei einer Talkshow hängenblieb, dann richtete ich mich sofort auf, wenn es um solche Fragen ging.
Und also schaute ich in den Fernseher und sah
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