Gott Braucht Dich Nicht
dann, wie jemand lächelnd sagte, dass nach dem Tod nichts kommt. Nicht die Aussage, aber das Lächeln darin, das machte mich fertig. Und misstrauisch. Und ich sah das öfter. Nicht nur im Fernsehen. Auch so, zwischen den Zeilen, wenn Erwachsene sich unterhielten. Ich hielt das nicht aus. Dass solche Dinge als Weltanschauung gesagt wurden, mit intellektuellem Gestus, und nicht in totaler Verzweiflung. Ich wusste nicht, ob mir etwas fehlte, diesen «Fakt» zu akzeptieren, denn das gelang mir einfach noch nicht, oder ob denen etwas fehlte. Wo war deren Traurigkeit? Warum wirkten die so souverän? Sie hatten keinen Grund dazu. Sie waren Wurmfutter, nach eigener Meinung. Ich war bereit, mich so zu sehen, aber es musste dann auch lebbar sein. Danach suchte ich damals wohl. Diese Menschen können nicht glauben, was sie da sagen, dachte ich, und wenn doch, dann müssen sie eine Kraft haben, die übermenschlich ist, oder sie lieben niemanden, nicht einmal sich selbst, aber dafür lächelten sie zu viel.
Ich war schon vor Papas Tod misstrauisch gegen Erwachsene, die in meinen Augen etwas anderes lebten, als sie glaubten. Irgendwie knirschte es da immer.
Es war ja damals in den Achtzigern und Neunzigern, meiner Kindheit und Teenagerzeit, immer eleganter, nicht an Gott glauben zu können und dabei seufzend auf die eigene Wissenschaftlichkeit hinzuweisen. Ich erinnere mich, dass ich mir bei diesen Themen bei irgendwelchen Abendessen häufig doof vorkam, und manchmal schielte ich zu meinen Eltern und fragte mich, ob sich die ganzen Hobbybiologen am Tisch eigentlich still darüber einig waren, dass meine Eltern ein bisschen dümmer waren als sie, weil sie in die Kirche gingen. Einmal eskalierte das. Bei einem Geschäftsessen mit meinem Vater, als zum ersten Mal diese Wut in mir aufkam, die ich dann nach Papas Tod den Älteren gegenüber noch stärker verspürte.
Wir saßen damals bei dem Geschäftsessen alle an einem runden Tisch. Vielleicht zehn Personen. Ich weiß nicht mehr, warum meine Geschwister nicht dabei waren. Vor mir ragte eine weiße gestärkte Serviette auf. Sie stand auf meinem Teller, daneben glänzten zwei Weingläser, ein Wasserglas, und im Gedeck glitzerte Licht. Das war der Anfang des Essens. Ich hatte gerade meinen fünfzehnten Geburtstag hinter mir, und Papa wusste noch nichts davon, dass in ihm der Krebs wuchs.
Die Frauen dufteten nach Parfüm an jenem Abend, die Männer nach Rasierwasser, und etwas später lächelten von Rotwein und Zigarrenqualm leicht blau gefärbte Zähne. Da sich beruflich alle gut kannten und der geschäftliche Teil des Essens wohl darin bestanden hatte, sich gegenseitig zu bestätigen, dass man sich noch gewogen sei, gingen die Gespräche bald wie üblich von Wirtschaft über Politik zu Gesellschaft und Kunst und dann zur Religion, was sich eigentlich nicht gehört, aber so war’s.
Und ich erinnere mich ganz deutlich an einen dieser Männer, der zurückgelehnt in seinem Stuhl saß, leicht graue Haare, sehr groß, ein bisschen dick, um die sechzig, die blauen Zähne habe ich schon erwähnt, und immer wieder zog er an seiner Zigarre, während die anderen der Gesellschaft über Gott sprachen.
Ich weiß nicht mehr, was der Auslöser für seinen Monolog war, aber ich weiß, wovon er gesprochen hat. Über Theorien: über den Urknall, über die Evolution, dass der Mensch ein hochentwickeltes Tier sei und so weiter. Es war nicht dieses ordinäre Geschwätz, das man sonst oft hört. Dieser Mann klang gut.
Normalerweise werfen Menschen bei Gesprächen um Gott ja ganz gerne das Wort «Urknall» ein, und wenn man sich blöd stellt und einfach mal nachfragt: «Was für ein Urknall?», dann lautet die Antwort: «Na, der Urknall halt.» Und dann soll man, glaube ich, «Ach so – stimmt» sagen, obwohl man weiß, dass das Gegenüber genauso wenig Ahnung hat wie man selbst, und man muss ertragen, dass die folgenden Minuten waghalsig mit Elefanten jongliert wird. Wenn man das nicht will und stur noch mal nachhakt, bekommt man Antworten, für die es in der neunten Klasse Physik eine glatte Fünf gegeben hätte.
Aber so war es an jenem Abend ja nicht. Dieser Mann erzählte ausführlich. Er hatte sich mit seiner Weltanschauung tiefer auseinandergesetzt. Er klang souverän. Alle hörten aufmerksam zu, seine Frau saß ein bisschen stolz neben ihm, er machte sich breit. Es ging dann um die Beweisbarkeit Gottes und dass, eben weil niemand ihn beweisen könne, dieser Mann es dumm fände, an die
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