Gott geweiht
angefangen zu nieseln, und dies war das einzige freie Taxi in Sicht.
»Ja, danke«, sagte er und stieg ein.
Er hegte nicht den leisesten Zweifel, dass die Delle im Laternenmast von einer Kugel stammte. Was er nicht wusste, war, ob sie für ihn bestimmt gewesen war oder nicht.
Der Verfolger wird der Verfolgte , dachte er grimmig, während das Taxi die Third Avenue entlangbrauste.
KAPITEL 21
Saint Francis Xavier war ein freundliches und gepflegtes Kirchengebäude mit einem eindrucksvollen Deckengewölbe, bunten Heiligenfenstern und einem edlen Marmoraltar. Aber die Schönheit des Tatortes sorgte nur dafür, dass Lees Stimmung sich noch mehr verdüsterte. Die Spurensicherung war bereits da, nahm Fingerabdrücke und suchte das Kirchengestühl nach möglichen Spuren ab. Als Chuck Lee herankommen hörte, sah er auf.
»Danke, dass du so schnell gekommen bist.«
Lee warf einen Blick zu der Leiche auf dem Altar.
Das Opfer dieses Überfalls wies gespenstische Ähnlichkeit mit dem aus Fordham auf – jung, dunkle Locken, mit einem starken irischen Einschlag. Am Tatort jedoch fanden sich unverkennbare Spuren eines schnellen brutalen Angriffs, anders als in Maries Fall. Mehrere Gesangsbücher waren von ihren Regalen vor dem Chorpodium gerissen worden und lagen um den Altar verstreut, ihre Seiten zerfetzt und blutbespritzt. Eine große blauweiße Vase lag zerbrochen ein Stück von den Füßen der Leiche entfernt, die Blumen auf dem dicken Teppichboden im Altarraum verteilt. Gelbe Rosen – eine bittere Ironie, schoss es Lee durch den Sinn, da sie ein Symbol für Freundschaft waren.
Doch was seinen Blick bannte, waren die Worte, die in ihre Brust geritzt waren.
Geheiligt werde Dein Name .
Die Schnitte waren diesmal tiefer, schartiger – das »e« in »Geheiligt« schlitzte ihre rechte Brustwarze so tief auf, dass sie beinahe abgetrennt war. Es gab auch mehr Blut – viel mehr Blut. Lee erinnerte sich daran, was die Pathologin im Leichenschauhaus über postmortale Verletzungen gesagt hatte – und diese Verletzungen sahen nicht aus, als wären sie nach dem Tode entstanden. Er wandte sich angeekelt ab.
Geheiligt werde Dein Name .
Dieser Satz ging ihm nicht aus dem Kopf, wie ein Singsang, der ihn verhöhnte. Ge-hei-ligt werde Dein Na …
»Mein Gott«, murmelte Lee. Ihm war ein weiterer entsetzlicher Gedanke gekommen. Der Schlitzer hatte erst zwei Zeilen des Vaterunsers hinterlassen – das machte noch nicht einmal ein Viertel des Gebets aus.
»Das geht auf sein Konto – das war derselbe Kerl«, seufzte Chuck und stellte sich neben ihn. »Mit einer Sache hattest du recht – er wird nicht von allein aufhören.«
»Und es lag keine Woche zwischen diesen beiden Morden«, bemerkte Lee. »Das letzte Mal hat er einen Monat gewartet, aber diesmal – na ja, entweder wird der Drang stärker, oder er wird selbstsicherer. Oder beides. Was wissen wir bislang über das Opfer?«
Chuck betrachtete die junge Frau. »Armes Ding. Ihr Name ist Annie O’Donnell.« Er zeigte auf einen Detective, der ein Stück weiter einen erschütterten Hispanoamerikaner in einer schlichten grünen Uniform befragte. »Selbst der Hausmeister kannte sie – er sagt, sie sei ein Gemeindemitglied gewesen. Offenbar war sie sehr schüchtern, doch er meint, er hätte ein Auge für hübsche Mädchen.« Chuck warf einen argwöhnischen Blick zu dem Mann. »Er ist doch nicht … oder?«, fragte er.
»Zu alt, falsche Ethnie. Der Schlitzer ist jung und sehr wahrscheinlich weiß. Sexualverbrechen, bei denen Täter und Opfer unterschiedlicher ethnischer Herkunft sind, kommen zwar durchaus vor, aber sie sind selten, und dieser Kerl scheint ein Präferenztäter zu sein.«
»Soll heißen …?«
»Er hat es auf einen spezifischen Opfertyp abgesehen.«
»Ja, okay«, sagte Chuck mit einem Blick zu den Kriminaltechnikern, die leise und konzentriert arbeiteten. »Die Spurensicherung tut, was sie kann, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen.«
»Nein«, pflichtete Lee bei. »Wenn er beim letzten Mal seine Spuren verwischt hat, dann wird er es auch diesmal getan haben. Er weiß, was er tut. Andererseits gibt es dieses Mal Hinweise auf einen Kampf, daher ist es durchaus möglich …«
»Lee«, unterbrach ihn Chuck, »meinst du, John Nelson würde vielleicht …«
»Was?«
»Na ja, ihr beide steht euch ziemlich nahe, oder nicht? Daher dachte ich, du könntest ihn vielleicht fragen, ob er – ob er als Berater fungieren würde?«
»Ja, klar.«
»Ich meine,
Weitere Kostenlose Bücher