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Gott geweiht

Gott geweiht

Titel: Gott geweiht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.E. Lawrence
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es ausdrücken? »Ich habe jemanden kennengelernt.«
    Dr. Williams faltete ihre feingliedrigen Hände im Schoß und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Nun, das klingt doch gut.«
    »Es klingt phantastisch – aber es ist beängstigend.«
    »Warum reden wir nicht darüber, weshalb es beängstigend ist?«
    »Na ja, es ist eine Chance, etwas zu haben, was ich mir wünsche, aber es ist auch eine Chance zu versagen, das zu verlieren, was ich haben will.«
    »Solange Sie also nichts wollen, gehen Sie auch kein Risiko ein?«
    Lee ließ sich die Frage durch den Sinn gehen. »Ja, das trifft es ziemlich genau. Aber so kann ich nicht leben. Die Sache ist, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich schon für so etwas bereit bin. Ich meine, das Timing – das Ganze wirft mich aus der Bahn.«
    »Wäre es nicht wunderbar, wenn sich neue Chancen immer nur dann bieten, wenn wir uns das wünschen?«
    »Höre ich da Sarkasmus heraus?«
    »Nein, ganz und gar nicht – nur Ironie. Ich halte es für durchaus verständlich, dass Sie so empfinden, aber das Leben öffnet uns oft Türen, wenn –«
    »Wenn man gerade beschlossen hat, sich aus der Welt auszuklinken.«
    Dr. Williams lachte.
    »Wie sieht sie aus?«
    »Sie ist – äh … nicht sehr groß, mit dunklen, lockigen Haaren.«
    »Wie Ihre Schwester.«
    »Ach, kommen Sie schon – muss sich denn alles um Laura drehen?«
    »Nein. Ich weise ja nur darauf hin. Es ist interessant, dass Sie sofort in die Defensive gehen.«
    »Schon gut, schon gut! «
    »Wissen Sie, es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand versucht, sich eine Ersatzfamilie zu suchen, wenn seine leibliche Familie nicht richtig für ihn da ist – oder in diesem Fall, wenn sie ihm genommen wurde.«
    »Okay, okay«, sagte Lee ungeduldig. »Und John Nelson ist meine Ersatzvaterfigur – einer, der für mich da ist und mich von allen Studenten zu seinem besonderen Liebling erkoren hat.«
    »Warum macht Sie das so wütend?«
    »Um das herauszufinden, bin ich hier, oder nicht?«
    »Okay.«
    Es entstand eine Pause, dann sagte Lee: »Wissen Sie, meine Mutter ist unzufrieden damit, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Es hat zu viel mit all den Sachen zu tun, mit denen sie lieber nicht konfrontiert werden will.«
    »Die dunkle Seite der menschlichen Natur?«
    »Sie hat nichts dagegen, dass ich Psychologe bin, aber diese ›Profiler-Geschichte‹, wie sie es nennt, führt mich an menschliche Abgründe, deren Existenz sie sich nicht eingestehen möchte.«
    »Sie denken also, dass sie es bedrohlich findet?«
    »Dessen bin ich mir sicher.«
    »Und Sie? Finden Sie es bedrohlich?«
    »Ja. Ja, auf jeden Fall.«
    »Diese Frau, die Sie kennengelernt haben – glauben Sie, dass sie es auch bedrohlich findet?«
    »Tja, das ist der Punkt – sie scheint fasziniert von meinem Beruf. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Einerseits freue ich mich darüber, und andererseits frage ich mich …«
    »Was mit ihr nicht stimmt?«
    Er ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. »Ja, vielleicht.«
    »Dann finden Sie also, Sie sollten eine Frau heiraten, die genauso ist wie die liebe, gute Mom?«
    »Aber, aber, Dr. Williams, wie wollen Sie es denn nun haben – ist sie meine Mutter oder meine Schwester? Entscheiden Sie sich mal.«
    Sie lachten beide, doch Lee konnte sich eines flauen Gefühls nicht erwehren. Es war eine Sache, über diese Dinge in Fachbüchern zu lesen, oder sogar, sie mit einem Patienten zu erarbeiten, doch es war etwas ganz anderes, es selbst zu erleben.
    Als Lee Dr. Williams’ Praxis verließ, fühlte er sich, als wäre ihm eine Last von den Schultern genommen. Es war eine solche Erleichterung, offen zugeben zu können: »Ich habe Angst.« In seiner Familie waren diese Worte tabu. Niemand hatte je Angst – jedenfalls nicht, wenn man stark war und etwas wert. Furcht war nur etwas für den Rest der Menschheit, jene minderwertigen Wesen, die nicht das Glück gehabt hatten, als Campbells geboren zu werden. Als Lee um die Ecke auf den University Place bog, vorbei am dort gelegenen Coffee Shop, stieg ihm der Geruch von gegrilltem Rindfleisch in die Nase, und schlagartig bekam er Heißhunger.
    Sein Handy piepte in der Tasche, weil er eine Nachricht erhalten hatte. Er holte es heraus und schaute auf das Display. Neue SMS . Er rief die Nachricht auf und las sie. Es war ein einzelner Satz.

    Was ist mit dem roten Kleid?

    Er stand wie vom Donner gerührt mitten auf dem Bürgersteig. Niemand wusste von dem roten Kleid, dem Kleid,

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