Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt
Kommune vor Ort als eigene Verantwortung aufs Auge drücken. Ich glaube, da muss man die Relationen wahren.« Das klingt zumindest danach, als sehe er die Einschränkungen des besonderen kirchlichen Rechts kritisch. »Sicherlich«, sagt der Bürgermeister und fährt fort, »das Problem sieht man an vielen Stellen. Ich bin in einem Nebenamt noch in einem kirchlichen Krankenhaus im Aufsichtsrat tätig. Da stellt sich die Problematik ähnlich dar. Trotzdem: Ich stehe absolut hinter diesem Arbeitsrecht.«
In Königswinter sind zehn von achtundzwanzig Kindergärten christlich. Drei von acht Grundschulen. Eine von zwei Realschulen. Eins von zwei Gymnasien. Es gibt sechs christliche Altenheime. Auch das nächstgelegene Krankenhaus ist katholisch.
In all diesen Einrichtungen spielt die Konfession bei der Bewerbung eine Rolle. In den katholischen Häusern sind die privaten Lebensumstände entscheidend für Einstellung oder Entlassung. Fünfzehn Kilometer von Rauschendorf entfernt, im Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit in Bonn, sitzt eine Mitarbeiterin, die anonym etwas zu diesem Thema beitragen möchte. Sie stellt folgende Frage: Würden Sie an meiner Stelle einer jungen Schülerin oder einem Schüler, der nicht getauft oder der muslimisch ist, raten, eine Ausbildung im Bereich Erziehung oder Krankenpflege zu machen, wenn der Arbeitsmarkt für sie oder ihn so eingeschränkt ist?
Dass dies nicht nur ein Problem des katholischen Rheinlands ist, zeigen folgende Zahlen: Jedes dritte Allgemeinkrankenhaus ist christlich. Mehr als jeder dritte Kindergarten. Ebenso jedes dritte Pflegeheim, jeder fünfte Pflegedienst. Die Kirchen stellen im Pflegebereich jeden zweiten Ausbildungsplatz. Zwei Drittel aller Privatschüler gehen auf eine christliche Schule. Finanziert werden diese Einrichtungen zum Hauptteil durch Länder und Kommunen, durch Sozialversicherungsträger und durch Nutzerentgelte wie zum Beispiel Kindergartenbeiträge. Nur wegen dieser verlässlichen Einnahmen und der damit verbundenen Planungssicherheit ist es für die Kirchen überhaupt möglich, so viele Einrichtungen im Sozialbereich zu betreiben.
In der Jahresstatistik 2012 der evangelischen Kirche in Deutschland heißt es interessanterweise zu diesem Thema: Zwar seien inzwischen nur noch gut sechzig Prozent der Bevölkerung Mitglied einer christlichen Kirche. »Volkskirchliche Strukturen haben sich trotz der unterschiedlichen Entwicklung bis heute überall gehalten. (…) Insbesondere die Mitwirkung im Bildungs- und Erziehungswesen sowie im kulturellen und sozialen Bereich dokumentiert die öffentliche Bedeutung der Kirchen.«
Obwohl also in den Gemeinden die Mitglieder schwinden, weitet die Kirche mit der Unterstützung und auf Wunsch der Kommunen und Landkreise ihre Tätigkeiten in den sozialen öffentlichen Einrichtungen weiter aus. Die Wohlfahrtsverbände der Kirchen Caritas und Diakonie machen inzwischen zusammen mehr Umsatz als etwa Lufthansa oder die Bahn. Dass sie so wachsen, hängt mit den besonderen Finanzierungsbedingungen in Deutschland zusammen.
Spielt die christliche Ausrichtung im Wettbewerb um Aufträge oder Kunden noch eine Rolle?
8.
Die Diakonie und der Markt
Gleiche Arbeit, weniger Rechte
André Kucza schiebt eine ältere Dame im Rollstuhl zum Röntgen. Das geht nur, weil gerade kein Notfallpatient auf seiner Station ist. Er ist pflegerischer Leiter der Zentralen Notaufnahme im Kreiskrankenhaus Stadthagen in Niedersachsen.
Als er zurückkommt, sieht er durch das Fenster des Stationszimmers, das an der Auffahrt für Rettungswagen liegt, einen Krankentransport vorfahren. Er zieht an einer Kordel, die kurz vor dem Ausgang an der Decke hängt. Die Krankenhaustür öffnet sich und André Kucza geht hinaus, um dem Fahrer bei einer Rollstuhlfahrerin zu helfen, die einen festen Termin hat. Nicht nur, weil er gerade viel zu tun hat, will der Notaufnahmeleiter hier kein Gespräch über seinen Arbeitsplatz anfangen. Lieber später, lieber in Ruhe zu Hause. André Kucza kehrt ins Gebäude zurück. Über dem Eingang steht in blauer Schrift »Kreiskrankenhaus«. Das wird dort nicht mehr lange stehen, denn das Haus ist vom Landkreis an die Diakonie verkauft worden.
»Noch eine Minute, dann sind wir da.« André Kucza und seine Kollegin, Stationsschwester Sigrid Herich, wollen noch einmal auf dem Balkon seiner Dachgeschosswohnung durchatmen, bevor sie herein an den runden Esstisch kommen. Schwester Sigrid ist direkt vom Dienst gekommen. Es
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