Gott wuerfelt doch 1
Fragen. Ich stolperte über meine eigenen Worte, wollte alles auf einmal
wissen. Die Psychologin beruhigte mich lächelnd mit einer
Nicht-alles-auf-einmal-Geste, und ich hielt inne. Dann fragte ich: „Wie sicher
ist das?“
„Ziemlich sicher.
Ich habe vorgestern mit einer Frau telefoniert, die Anna Gasser heißt.“
„Sie haben ... mit
ihr telefoniert?“, brach es aus mir heraus.
„Ja, die Verbindung
war sehr schlecht. Ich konnte sie jedoch fragen, ob Sie einen Walter Landes
kenne?“
„Und was sagte
sie?“, fragte ich zaghaft.
„Sie reagierte
aufgebracht.“
„Aufgebracht?“ Ich
spürte wieder diesen Stich in der Magengrube.
„Ja, weil sie
glaubte, sie seien tot, und sie wollte wohl nicht daran erinnert werden.“ Sie
machte eine Pause.
„Weiter, erzählen
Sie weiter!“, forderte ich sie auf, immer noch zum Zerreißen gespannt.
„Ich sagte ihr, es
könne sein, dass Walter Landes noch lebe. Dann wurde das Gespräch unterbrochen.
Ich habe es noch einmal versucht. Bisher ist die Verbindung nicht mehr zustande
gekommen. Aber ich versuche es weiter.“
Ich war einen
Moment lang wortlos. Dann fragte ich: „Wie haben Sie Anna gefunden?“
Sie richtete ihren
Sitz und begann zu erzählen: „Ich habe die drei Herrschaften angerufen, mit
denen Anna damals in Kuba war. Sie glaubten alle, Anna Gasser wäre tot. Denn
nach ihrem Verschwinden ist das wohl die allgemeine Meinung gewesen.“ Ich
nickte. „Ich habe sie gefragt, was genau die Forschungsgruppe damals auf Kuba
gemacht hat. Sie schilderten mir ihre Arbeit und welche Aufgaben Anna Gasser zu
erledigen hatte. Sie war wohl hauptsächlich mit der Dokumentation von
Forschungsergebnissen beschäftigt. Ich habe sie natürlich auch gefragt, wo sie
gewohnt haben. Sie waren in der Nähe der Stadt Pinar del Río auf einer
Tabakfarm. Warten Sie, ich habe es aufgeschrieben.“ Sie reichte mir einen
Zettel. „Vegas San Juan y Martínez hieß die Farm“, las sie stockend vor.
„Ja, ich erinnere
mich, sie hat den Namen einmal erwähnt“, gab ich zur Antwort.
„Dort gibt es eine
Forschungsstätte für Tabak. Angeblich wachsen auf dieser Farm die besten
Tabakblätter der Welt.“
„Ja, ja, ich
erinnere mich“, bemerkte ich.
„Eine Freundin von
mir ist gebürtige Spanierin. Sie hat für mich dort angerufen, ich meine bei der
Farm.“
„Ja und?“, fragte
ich gespannt.
„Wir mussten uns
durchfragen, aber man kannte Anna Gasser dort noch. Der Laborleiter erinnerte
sich an sie und sagte, ja, sie komme zweimal im Jahr zu Besuch, und das nun
schon seit einigen Jahren.“
„Das gibt’s ja
nicht. So einfach!“ Ich schüttelte den Kopf, „es war so einfach, sie zu finden?
Wieso habe ich das nie versucht?“ Ich legte die Hände vor mein Gesicht, teils
vor Fassungslosigkeit, teils vor Glück und teils, weil ich mich aufrichtig
schämte.
Martina Semmler
tröstete mich: „Machen Sie sich keine Vorwürfe. Vielleicht gerade weil es so
einfach war, machte es die Sache für Sie anscheinend so kompliziert, denn sonst
wären Sie ja selbst drauf gekommen. Wir haben Glück gehabt, dass sie in Kuba
ist.“
„Was macht sie denn
dort?“, fragte ich.
„Sie ist Lehrerin
in Pinar del Río, das ist die westlichste Provinzhauptstadt. Der Laborleiter
hat mir eine Telefonnummer gegeben, dort habe ich sie ja auch erreicht. Ich
muss es natürlich weiter versuchen! Ich kann mir vorstellen, dass sie es
vielleicht für einen schlechten Scherz gehalten hat, nachdem auch noch die
Telefonverbindung zusammengebrochen ist.“
„Wenn Sie Anna
wieder erreichen, fragen Sie nach ihrer Adresse und sagen Sie ihr, im
Schließfach 313 am Hauptbahnhof liege eine Flasche Barolo und eine rote Rose
für sie bereit, sie wird dann wissen, dass ich noch lebe!“
Martina Semmler
stand auf, verabschiedete sich und ging hinaus. Als sie noch einmal
zurückblickte, sagte sie: „Kopf hoch, und freuen sie sich. Ich glaube, Sie
haben es verdient!“
Ich konnte die
folgende Nacht nicht schlafen. Anna war bei mir, ich sah sie, wie sie lachte,
wie sie mit mir aß und trank, wie sie von Kuba erzählte, und ich spürte, wie
sie ihren Enthusiasmus verbreitete.
Am folgenden Tag
ließ Martina Semmler mir einen Brief zukommen. Ich riss ihn hastig auf und las:
--
Lieber Herr
Landes,
Ich habe Anna
Gasser erreicht. Die Telefonverbindung hat dieses Mal gut funktioniert. Sie war
der festen Meinung, Sie wären tot. Als ich ihr berichtete, was geschehen sei
und ihr die Geschichte von der Blume im
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