Gott wuerfelt doch 1
die
Stirn. „Es gibt viele Dinge, die Sie sagen, die ich Ihnen abnehme. Aber das ist
nicht wichtig! Wichtig ist, dass Sie sich für unschuldig halten, und das sehe
ich sehr deutlich.“
„Was sagen ihre
Kollegen dazu?“, fragte ich.
„Hören Sie, ich
dürfte Ihnen das eigentlich gar nicht erzählen.“ Sie stockte. „Die sind sich
auch nicht sicher, ich meine, ob Sie schuldig sind. Vielleicht sind Sie ein
perfekter Blender?“
Ich nahm ihre
Testfrage ruhig zur Kenntnis.
„Sagen Sie, diese
Anna Gasser, haben Sie darüber nachgedacht, wo sie sein könnte, wenn es sie
noch gibt?“
Ich wand mich auf
meinem Stuhl, es war wieder dieser Schmerz, der wie ein Aufzug in die
Magengrube hinunter sauste. „Ich weiß nicht, wo sie sein könnte.“
„Sie ist die
Einzige, die glaubwürdig dazu in der Lage wäre herauszufinden, wer Sie wirklich
sind. Sie wäre die einzige glaubwürdige Zeugin!“
Ich wollte etwas
sagen, brachte aber kein Wort zustande, rang mit Worten und schrieb mit den
Augen Hilflosigkeit in die Luft. Sie schwieg. Sie hatte wohl erkannt, dass ich
litt, und sie ließ mich in Ruhe. Ich war froh, obwohl mich ihre Fragen
aufgewühlt hatten. Lebte Anna noch oder war sie tot?
Es begann in mir
die Idee zu reifen, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, und nach drei Tagen
der Verwirrung, der Unsicherheit und der Angst vor Enttäuschung, aber auch der
sehnsüchtigen Hoffnung, konnte ich mich allmählich beruhigen. Ich versuchte
analytisch an die Sache heranzugehen. Wo konnte Anna sein?
Als Martina Semmler
sich setzte, hatte ich gleich eine Frage: „Können Sie mir helfen, Anna zu
finden?“
Sie zog die Brauen
zusammen. „Wieso sollte ich das tun?“, fragte sie und fixierte mich.
„Hören Sie“, probierte ich es weiter, „Sie sind der erste
vernünftige Mensch, der mir seit Jahren hier drin begegnet ist, und dann kommen
Sie gleich mit einer solchen Idee. Sie können mich doch jetzt nicht damit
alleine lassen!“
Ihr Blick forderte mich weiter.
„Ich habe mir überlegt, was sie gesagt haben. Ich denke, Sie
haben einfach Recht. Ich habe es nie versucht. Ich muss es aber versuchen!“,
sagte ich etwas deutlicher.
„Ich muss daran glauben, dass sie noch lebt. Ja, ich glaube
es. Aber ich brauche Hilfe!“, flehte ich.
Sie lächelte. „Also
gut, wenn es in meinen Möglichkeiten steht. Wie?“
„Fragen Sie mich
alles, was Ihnen einfällt. Wir müssen das Problem einkreisen.“ Ich war ziemlich
aufgeregt, weil ich unserem Gespräch Erfolg zugedachte. Es würde erfolgreich
sein müssen!
„Nun gut. Wissen
Sie irgendetwas über ihr Verschwinden? Erzählen Sie mir genau alles, jedes
kleinste Detail.“
Ich setzte seufzend
an: „Am 3. Mai 1988 erhielt ich die Nachricht, dass Anna auf Madeira drei oder
vier Tage vorher mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ertrunken war.“
„Haben Sie mit
irgendjemand darüber gesprochen?“
Ich dachte nach.
„... Ja ... mit meinem Bruder natürlich, also Konrad.“
„Ich glaube jetzt
mal, dass Sie Walter sind. Mein Gott, was tu ich hier?“, fragte sie sich leise.
„Wie hat er reagiert?“
„Er sagte, kein
Profi würde jemand töten, wenn es sich vermeiden lässt. Das gehört wohl zum
guten Ton in dem Geschäft“, fügte ich hinzu.
„Er hatte Recht,
denn Spaß am Töten ist nur etwas für Psychopathen“, sagte die Psychologin
abgeklärt. „Es besteht also durchaus eine Chance, dass Anna Gasser noch lebt.
Man hat Sie das glauben lassen wollen, sie wäre tot, um Sie aus der Bahn zu
werfen. Und Sie sind ja auch tatsächlich davon ausgegangen, stimmt’s?“
„Ja“, gab ich zu,
„eigentlich bin ich von einem gewissen Zeitpunkt an davon ausgegangen, dass sie
tot ist.“
„Wenn ich die Akten
richtig verstanden habe, hat dieser Weiser das vor Gericht auch so darzustellen
versucht, um Ihnen noch einen Toten anzuhängen, wenn Sie Konrad Landes heißen
würden.“
„Ich erinnere mich
daran, was Konrad gesagt hat; wenn der DDR-Apparat eine indirekte Zielperson
verschwinden lassen wollte, gab es die Möglichkeit, sie für immer in bestimmte
Länder ausreisen zu lassen.“
Die Psychologin
dachte nach. „Vielleicht hat man ihr Bilder von dem toten Konrad gezeigt und
sie veranlasst zu glauben, Sie wären das - ich gehe übrigens jetzt weiter davon
aus, dass Sie Walter Landes sind.“ Ich nickte. „Dann hat man sie eben vor diese
Wahl gestellt. Die Fotos werden sie überzeugt haben.“
Ich nickte
vorsichtig weiter. „Ja, das könnte sein.“
Sie machte eine
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