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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fawwaz Hahhad
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leben, die von oben schön aussah und mir erste und letzte Zuflucht war. Plötzlich drängte es mich, jede Barriere zwischen mir und Damaskus zu beseitigen. Könnte ich doch nur, wenn auch nur insgeheim, wieder mit dieser Stadt in Verbindung treten! Aber so einfach war das nicht. Alles in mir war Widerwillen gegen Menschen und Städte. Meine Gedanken überraschten mich,waren das meine oder die des Anderen? Mir war, als würde ich in dessen Reich eindringen, aber so, als ob sich in mir eine andere Person erhob. Ich war nicht mehr einer, sondern zwei, der eine wollte etwas erfahren, der andere sträubte sich dagegen.
    Bevor sie ging, bereitete die Frau in der Küche ein Abendessen zu und fragte ihn, ob er noch einen Wunsch habe. Er bedankte sich. Ich war wieder allein, allein mit dem Anderen, und nun begann das Leiden. Meine Wunden waren noch nicht verheilt, aber ich wollte schon einmal den Schorf abkratzen, um an die Erinnerung der Person zu kommen, die ich einmal war. Doch diese hüllte sich in Schweigen.
    Auch die Tage darauf wären wohl in fast vollständigem Schweigen vergangen, wäre nicht meine Tochter Nada täglich auf ihrem Weg zur Universität bei mir vorbeigekommen und hätte mir Frühstück gemacht. Sie besuchte mich auch dann noch, als sie erfuhr, dass Sana ebenfalls zu mir kam. Sie stellte mich deswegen nicht zur Rede und machte keine Andeutungen; es schien, dass der Andere sie vorher schon ins Bild gesetzt hatte. Sie ließ mich sogar erst dann allein, wenn sie sicher war, dass noch jemand käme, und so teilten sich die beiden Frauen die Aufgabe, sich um mich zu kümmern. Auch Hassan gehörte zu meinen wenigen Besuchern; er kam täglich zu unterschiedlichen Zeiten und traf mittags manchmal Sana bei mir an. Wenn er abends kam, gab uns das die Möglichkeit zu längeren Gesprächen, allerdings ohne dass dies zu nennenswerten Fortschritten geführt hätte. Ich hatte nichts zu sagen und überließ den größten Teil der Unterhaltungen ihm.
    Hassan verschaffte mir mehr Ruhe und Entspannung, als ich nötig gehabt hätte, weil er hoffte, die Langeweile könnte mich dazu bringen, meine Zurückgezogenheit zu beenden, und ich würde so schneller geheilt. Seine Freunde im Geheimdiensthatte er davon überzeugt, dass es sinnlos wäre, mich zu dem zu vernehmen, was mir im Irak widerfahren war, solange ich mein Gedächtnis nicht wiedererlangt hätte. Er hatte persönlich die Verantwortung für mich übernommen. Schließlich war der Andere, der ich einmal war, sein engster und bester Freund gewesen, was auch umgekehrt galt, und es war nur natürlich, dass er seinem Freund in dieser offensichtlich schweren Prüfung zur Seite stand, um mit ihm sein früheres Leben durchzugehen. Hassan erleichterte ihm vieles und gab sich zuversichtlich, dass einige Erinnerungen von selbst wiederkommen würden. Erinnerungen aus der Kindheit und der Jugend sowie an glückliche Ereignisse seien noch das Einfachste, meinte er. Einer größeren Anstrengung bedürften dann schon die kürzer zurückliegenden und insbesondere die schmerzlichen, die aber gleichwohl ans Licht müssten, wenn er Klarheit über das Geschehene erlangen und sich dem stellen wolle, was danach auf ihn zukäme. Hassan half seinem Freund vor allem in Bezug auf die Zeit, die er selbst mit ihm erlebt hatte. Die beiden hatten eine lange gemeinsame Geschichte, und Hassans Anteil daran war bedeutend gewesen.
5
    Um diese Geschichte nachzuerzählen, muss man an der Djaudat-al-Haschimi-Schule in Damaskus in der ersten Gymnasialklasse 1971 beginnen. Eine Woche nach Schulbeginn versetzte unser Lehrer mich als vermeintlichen Unruhestifter neben den eher ruhigen und schweigsamen Hassan. Innerhalb weniger Tage waren wir Freunde. Hassans Gelassenheit strahlte auf mich aus, während er von mir die Spontaneität übernahm. Wer von uns beiden hatte dadurchwohl mehr gewonnen? Wir wurden zu festen Verbündeten und traten bei Streits und Diskussionen mit anderen immer solidarisch auf. Wir gerieten in kleine Abenteuer, die unseren Erfahrungsschatz bereicherten und uns in die Welt der Verliebtheit und der Enttäuschungen führten. Gelegenheit dazu boten uns die Mädchen der nahe gelegenen Franziskanerschule, mit denen wir anbändelten, die wir bezaubernd fanden, mit denen es in den Gassen in Richtung Salihiye-Straße und Märtyrerplatz zu immer neuen Schwärmereien kam und die wir am Sonntagmorgen in die Matineen des Zahra- oder des Ambassador-Kinos einluden. Wir betrachteten es aber auch schon

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