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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fawwaz Hahhad
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historischer Taten gewesen. Wir hatten lediglich eine jugendliche Lust auf Veränderung um jeden Preis verspürt, und was wir uns auf die Fahnen schrieben, war in etwa das, was damals an Ideen in Umlauf war. Aber unsere revolutionäre Gesinnung reichte nicht tief. Wir kämpften nicht und begehrten nicht auf. Wir waren einfach nur dagegen.
    Wie viele frucht- und endlose Debatten hatten wir nicht mit Genossen geführt, die in voneinander abgespaltenen Gruppen organisiert waren! Oft drehten sich die Diskussionen wochen- und monatelang um Dinge, die bereits seit Jahrzehnten entschieden waren, und wir entdeckten, dass es der Revolution trotz ihrer vermeintlichen Unabwendbarkeit sowohl an pragmatischen und kühnen Theoretikern wie an blinden und wütenden Volksmassen mangelte. Dazu kam, dass ihr vorübergehend Geschicke entgegenstanden, die nicht vorgesehen waren; historische Zufälle, die wir Genossen nicht weiter ernst nahmen. Wie überhaupt der Begriff der Zufälle unserem Unwissen eine nebulöse, gleichwohl aber vertrauenswürdige Erklärung für jedes Problem bot. Schließlich blieb von all unseren gescheiterten Ideen nur noch eine ungefährliche Begeisterung für Kultur übrig, die zwar auch noch voller militanter Parolen war, aber fade und träge nur noch von einer Veränderung sprach, die, mit Gewalt oder schrittweise, irgendwann käme.
    Eines Nachts gingen wir nach Hause, nachdem wir mit Freunden einen deprimierenden Abend verbracht hatten undkein einziges Mal auf den Sieg angestoßen hatten, wenngleich wir von der Verteidigung des Sozialismus noch heiser und ganz sicher waren, dass ihm schon bald ein Neuanfang verheißen sein würde. Hassan blieb torkelnd mitten auf der Straße stehen und sagte: »Weißt du, was wir sind? Wir sind nichts als Kleinbürger, denen ein gutmütiges Proletariat besser nicht trauen sollte. Sobald wir gesiegt haben, werden wir nicht zögern, den Arbeitern ihre Errungenschaften wieder zu stehlen. Aber so weit wird es ohnehin nicht kommen. Wir sollten uns eingestehen, dass wir uns einer Revolution angeschlossen haben, deren Zug längst abgefahren ist.«
    Es war eine ziemlich getreue Beschreibung dessen, wie es um uns stand.
    Danach war bitterer Sarkasmus gegen jene, die sich von ihrer Vergangenheit distanzierten und von ihren bisherigen Überzeugungen abfielen, unsere Reaktion auf eine Niederlage, die wir nicht verschuldet hatten, und wir trugen dabei dick auf. Wir betrieben diesen Spott als eine Art Spiel, dem schmerzlicher Ernst innewohnte, ohne selbst unsere Ideen zu verleugnen. Grenzenlos wurde unsere Enttäuschung erst, als die Realität surreal wurde und wir uns in eine gänzlich unbekannte Situation geworfen sahen. Die Lenin’sche Frage: Was tun? wurde plötzlich von Turban tragenden Scheichs beantwortet. Was für eine Überraschung! Da hatten wir doch unversehens die Rollen getauscht; wir Progressiven galten nun als Protagonisten eines Zeitalters des Unwissens, während die neuen Akteure im Triumph aus ihrem prophetischen Exil zurückkehrten, nur um sogleich den Kampf aufzunehmen und die Götzenbilder des Materialismus und des Atheismus zu zerstören und zu verkünden, dass der Islam die Lösung und der Koran eine Verfassung sei.
    Ganz ohne Schaden konnten wir unser Kapitel auch persönlich nicht abschließen. Wir wurden von den Verhaftungswellenerfasst, die auf die Mitglieder linksradikaler Zellen zielten, und für Hassan und mich fiel dabei ein knappes Jahr Gefängnis ab. Nachdem Ermittlungen ergeben hatten, dass wir keiner Organisation angehörten, die den Staat angreifen wollte, und wir uns keiner Sabotage gegen das Regime schuldig gemacht hatten, ließ man uns wieder frei. Wir waren nur aufsässige Jungs gewesen, die Ideen liebten, keine Taten. So zahlten wir verspätet den Preis für einen Kampf, nachdem nichts mehr da war, wofür wir hätten kämpfen können, und dieser Preis war im Vergleich zu dem, was andere durchmachten, nicht hoch, aber doch wenigstens ein Anlass, die Dinge neu zu überdenken.
    Auch nach unserer Entlassung blieben wir dem Café treu, in dem wir früher so engagiert debattiert hatten, aber jetzt führten wir defätistische und revisionistische Diskussionen. Hassan sagte sich vom Marxismus los und prophezeite spontan: »Revolution und Befreiung haben in unserer Region keine Zukunft.« Und er verallgemeinerte diese Prophezeiung historisch und geografisch, indem er hinzufügte: »Die Menschen haben sich, seit sie auf der Erde leben, immer gegenseitig

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