Gottes Gehirn
Lust“, sagte Hebold.
„Warum sollten die vor jedem, der ihnen aufs Fell schaut, einen Kotau machen? Ich bin mal im Zoo gewesen, als Till drei Wochen alt war, und hatte ihn im Tragetuch vor dem Bauch. Als wir bei den Affen waren, kam eine Schimpansenlady direkt auf uns zu, schaute sich Till an und polkte mit dem Zeigefinger an der Scheibe herum, als wollte sie das Baby kraulen. Die Leute habe mich alle gefragt, ob ich die Dame kenne.“
„Ob sie die Mutter wäre?“
Hebold überging Trollers Sottise.
„Jedenfalls war für die Schimpansendame die Welt hinter der Scheibe durchaus nicht dunkel.“
„Vielleicht hatte sie übersinnliche Kräfte. Vielleicht war sie eine Schimpansen-Schamanin. Außerdem sind Schimpansen uns am nahsten. Nur ein Prozent unseres Erbguts unterscheidet sich von dem, was die in ihrer DNA haben. Ein paar Synapsen mehr im Gehirn, und die sind wie wir. Was hältst du von der Story? Ich meine die mit dem blinden Fleck?“
„Ich hab Hunger“, sagte Hebold.
„Heißt das, du bist dagegen?“
„Das heißt, ich habe Hunger und würde lieber bei Giuseppe weiterreden.“
Giuseppe war das Restaurant im Erdgeschoss des Hauses, in dem auch noch andere Hauptstadtredaktionen verschiedener Zeitungen und Zeitschriften untergebracht waren. Im vorderen Teil des Restaurants gab es eine kleine Theke, an der man sich selbst Salate und Vorspeisen zusammenstellen und nach Gewicht abrechnen lassen konnte, im hinteren Teil des Restaurants wurde man bedient. Troller und Hebold setzten sich an einen der Tische, auf denen Körbe mit Grissini und frisch aufgeschnittenem Baguette standen.
„Deine Idee mit der Scheibe ist nicht schlecht“, sagte Hebold. „Man müsste vielleicht doppelgleisig vorgehen. Einerseits die neuen Phänomene beschreiben und andererseits die Wissenschaftler befragen, die sich an der Grenze bewegen, Leute wie Stephen Hawking oder Marvin Minsky. Man könnte daraus locker eine Serie machen. Da werden jede Menge Spinner drunter sein, aber spannend wäre das schon.“
„Klingt so, als würdest du gern ein bisschen in der Welt herumreisen“, sagte Troller und nahm einen Schluck Pinot Nero.
„Könnten wir doch zusammen machen. Wir müssten nur irgendeinen Dreh finden, der so zwingend ist, dass Bäumler nicht nein sagen kann.“
Bäumler war ihr Chefredakteur. Über ihm thronte nur noch der Herausgeber, der sich aber in der Regel an das Votum von Bäumler hielt. Wenn Bäumler sagte, ich will die beiden Jungs über den großen Teich schicken, dann bekam er auch das Geld dafür.
„Der Haken ist nur“, sagte Troller, „dass ich keine Lust auf Reisen habe.“ Interviews mit hochkarätigen Wissenschaftlern hatte er in seinem Leben genug geführt. Ihm kam es darauf an herauszufinden, was sie alle miteinander verband. Er dachte an sein Buch und daran, dass er nach dem Essen sofort aufbrechen würde. „Du müsstest die Sache schon allein machen.“
Ernüchtert stocherte Hebold in seinem Essen herum.
Sie hatten beide das Tagesmenü bestellt, Linguine alla Berlusconi, schwarze Nudeln mit roter Sauce. Troller überlegte, ob er sich ein zweites Glas Wein bestellen sollte, aber er ließ es, weil er noch fahren musste. Als er sich umdrehte, um beim Kellner ein Mineralwasser zu bestellen, sah er, wie Schmidt-Schönbein auf ihn zukam, der Kollege von der FAZ. Troller mochte ihn nicht. Er hielt ihn für den perfekten Abstauber, der seine Kollegen anzapfte, wo er nur konnte, selbst aber nie etwas preisgab. Man erzählte ihm was, und zwei Wochen später las man es in der FAZ.
„Hallo, Troller“, begann Schmidt-Schönbein, „du kanntest doch diesen Futorologen, stimmt’s?“
„Ich kenne eine Menge Futurologen“, sagte Troller und schob sich eine extragroße Portion Nudeln in den Mund.
„Ich meine Kranich“, sagte Schmidt-Schönbein.
Troller nickte und kaute weiter.
„Wo würdest du seine Bedeutung sehen?“, fragte Schmidt-Schönbein.
„Der einzige Zukunftsforscher, der sich nicht einbildet, die Zukunft zu kennen.“
„Danke“, sagte Schmidt-Schönbein, „das ist ’ne gute Formel für ’n Nachruf.“
„Schleimscheißer“, murmelte Hebold, als der Kollege ein paar Schritte entfernt war.
Troller starrte ihn entgeistert an. In seinem Kopf arbeitete es.
„Hat er Nachruf gesagt?“ Er schob mit einem Ruck seinen Stuhl zurück, lief hinter Schmidt-Schönbein her und hielt ihn unsanft an der Schulter fest.
„He, was soll das?“
„Was war das mit dem Nachruf eben?“
„Tschuldigung“, sagte
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