Gottes Werk und Teufels Beitrag
erkennen war, ob er lächelte oder nicht.
»Sind Sie der Doktor?« fragte ihn die junge Frau und starrte dabei auf den Schnee an ihren Stiefeln und dann mißtrauisch auf die Arzttasche.
»Ja, ich bin Dr. Stone«, sagte er, nahm die Frau am Arm und geleitete sie zur Spitalpforte der Knabenabteilung. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er sie.
Und so traf er ein, wie Schwester Edna sagen sollte, und brachte das Werk des Herrn gleich mit. Schwester Angela schlang ihre Arme um seinen Hals und flüsterte ihm ins Ohr: »Oh, Homer! Ich wußte, du würdest wiederkommen!«
»Nennen Sie mich Fuzzy«, flüsterte er ihr zu, weil er wußte, daß Homer Wells (wie Rose Rose) längst verschwunden war.
Ein paar Tage lang sollte Schwester Caroline ihm gegenüber argwöhnisch bleiben, aber er sollte nicht mehr als ein paar Operationen und ein paar Entbindungen brauchen, um sie zu überzeugen, daß er der richtige Mann war. Sogar dem Namen nach sollte Dr. Stone ein passender Nachfolger sein für Dr. Larch. Denn war Stone nicht ein guter, harter, mitbeiden-Beinen-auf-der-Erde-stehender, zuverlässig klingender Name für einen Arzt?
Und Mrs. Grogan sollte bemerken, daß ihr das Vorgelesenbekommen seit jenen kaum noch erinnerlichen Tagen des Homer Wells nicht mehr so viel Vergnügen gemacht hatte. Und zur großen Erleichterung aller zeigte Fuzzy Stone so wenig Symptome seiner einstigen Atembeschwerden, wie Homer Wells dereinst Anzeichen eines schwachen und geschädigten Herzens gezeigt hatte.
Candy und Wally Worthington sollten sich mit vollem Schwung in die Apfelfarmerei stürzen. Wally sollte zwei Sitzungsperioden als Vorsitzender der Gartenbaugesellschaft von Maine amtieren; Candy sollte eine Sitzungsperiode als Direktorin des New York – New England Apple Institute amtieren. Und Angel Wells, den Rose Rose in die Liebe und in die Phantasie eingeführt hatte, sollte eines Tages Schriftsteller werden.
»Der Junge hat das Dichten im Blut«, sollte Wally zu Homer Wells sagen.
Ein Schriftsteller, das war für Candy auch Homer Wells geworden – denn ein Schriftsteller war nach Candys Meinung so etwas Ähnliches wie ein hochstapelnder Doktor, wenngleich ein guter.
Homer tat es nie leid, seinen Namen aufgegeben zu haben – es war von vornherein nicht sein richtiger Name – und es war ebenso leicht, ein Fuzzy zu sein, wie es leicht gewesen war, ein Homer zu sein – so leicht (oder so schwer), ein Stone zu sein, wie alles andere zu sein.
War er erschöpft oder von Schlaflosigkeit geplagt (oder beides), dann sollte er Angel vermissen oder an Candy denken. Manchmal sehnte er sich danach, Wally in die Brandung hinauszutragen oder mit ihm zu »fliegen«. Manche Nächte stellte Homer sich vor, daß er ertappt würde, oder er machte sich Sorgen, was er tun würde, wenn Schwester Angela und Schwester Edna zu alt wären für Gottes Werk und auch für all die anderen Arbeiten in St. Cloud’s. Und wie sollte er jemals Mrs. Grogan ersetzen? Manchmal, wenn er besonders erschöpft war, träumte er davon, daß Abtreibungen legal wären, daß sie gefahrlos und frei zugänglich wären und er daher aufhören könnte, sie auszuführen (weil jemand anders es tun würde) – aber so erschöpft war er nur selten.
Und nach einer Weile sollte er an Candy schreiben und sagen, daß er Sozialist geworden sei; oder zumindest, daß er Verständnis gewonnen habe für sozialistische Ansichten. Candy verstand aus diesem Geständnis, daß Homer mit Schwester Caroline schlief, was, wie sie ebenfalls verstand, gut sein würde für sie alle – das heißt, diese neue Entwicklung war gut für Homer und für Schwester Caroline, und sie war auch für Candy gut.
Homer Wells sah kein Ende der Einsichten, die er allabendlich hatte, wenn er aus Jane Eyre und aus David Copperfield und Große Erwartungen vorlas. Er mußte lächeln, als ihm wieder einfiel, wie er einst Dickens für besser gehalten hatte als Brontë. Wenn sie doch beide so großartige Unterhaltung und Belehrung schenken, was macht es da aus? dachte er – und woher kommt diese kindische Sache von wegen »besser«? Weniger Unterhaltung als vielmehr Belehrung zog er aus seiner Grayschen Anatomie.
Eines fehlte ihm, eine Weile – und er war schon dabei, es zu bestellen, als es unverlangt eintraf. »Ein Geschenk des Himmels«, sollte Mrs. Grogan sagen.
Der Bahnhofsvorsteher sandte ihm die Nachricht: Da war eine Leiche am Bahnhof, adressiert an Dr. Stone. Sie kam aus dem Spital in Bath, das Dr. Larchs bewährte
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