Gottes Zorn (German Edition)
und in regelmäßigen Abständen die SIM -Karte seines Handys zu wechseln. Doch Osama ist nachlässig geworden. Es ist ihm schwergefallen, das Ganze ernst zu nehmen, obwohl er weiß, dass er es müsste.
Jetzt hört er leise Stimmen im Treppenhaus unmittelbar vor seiner Wohnungstür. Sie sind da. Er blickt sich verzweifelt in der Wohnung um. Sein Instinkt mahnt ihn zu fliehen, aber es gibt keinen Ausweg. Mit klopfendem Herzen rennt er in die Küche, zieht eine Schublade heraus und wühlt zwischen den Messern herum. Dann überlegt er es sich anders und stürmt zur Balkontür, fest entschlossen, sich in die Nacht hinauszustürzen und wie ein Vogel zu fliegen, nein, wie ein Jagdfalke ins Himmelreich einzutauchen. Doch erneut verlässt ihn der Mut, und er bleibt wie gelähmt mit der Hand auf dem Türgriff stehen.
Ein heftiger Knall, eine Explosion durchbricht die Stille. Die Wohnungstür fliegt auf. Wie in einem bösen Traum sieht er schwarz gekleidete Männer mit verdeckten Gesichtern und gezogenen Waffen in einer Rauchwolke die Wohnung stürmen. Sie rufen ihm etwas zu, doch er versteht sie nicht. Es brennt in seinen Augen, er wird tränenblind und bekommt kaum noch Luft.
Innerhalb von Sekunden überwältigen sie ihn, er wird zu Boden geworfen, dann kniet jemand auf seinem Rücken und presst ihm etwas Hartes gegen den Nacken. Sie brüllen ihn an, er solle stillhalten, doch seine Lähmung ist wie weggeblasen, und er zappelt wie ein Fisch, ohne sich befreien zu können. Kräftige Fäuste umschließen seine Beine und fesseln seine Arme mit Handschellen auf dem Rücken.
Osama schreit aus voller Kehle, er hat Blut im Mund, und als ihm jemand eine Haube über den Kopf zieht, wird plötzlich alles schwarz vor Augen.
In dem Augenblick entweichen die letzten Kraftreserven aus seinem Körper. Osamas Körper wird schlaff wie der eines toten Tieres. Er atmet stoßweise durch den rauen Stoff hindurch. Das ist also Allahs Prüfung, denkt er. Ich muss sie bestehen.
Bevor er das Bewusstsein verliert, hört er eine Stimme rufen: «Stellt die ganze verdammte Bude auf den Kopf. Alles muss mit.»
Kapitel 9
D ie Nacht wurde zu einem langen Warten auf den Morgen. In seinem Kiefer pochte es, und seine Schulter schmerzte so stark, als wäre eine Sehne gerissen. Der Holzspalter des Predigers hatte großflächige Schürfwunden in seinem Gesicht hinterlassen.
Joel schwitzte und drehte und wendete sich, doch wie auch immer er seinen Kopf hinzulegen versuchte, er tat weh.
Um sechs Uhr warf er die Bettdecke zur Seite, stolperte ins Bad und ließ bis zum Rand kaltes Wasser in die Badewanne laufen. Nackt glitt er so tief, wie es ging, unter die Wasseroberfläche und hielt die Luft an.
Anfänglich drohte die Eiseskälte seine Schläfen zu sprengen, doch bald spürte er, wie sein Kopf sachte wegdämmerte.
Ob es wohl möglich ist, sich selbst zu ertränken?, fragte er sich.
Als ihm bereits der Sauerstoff auszugehen drohte, zwang er sich, noch ein paar Sekunden unter Wasser zu bleiben, bis seine Lunge zu schmerzen begann und er sich prustend aufrichtete, einen tiefen Atemzug machte und erneut abtauchte.
Er hatte einmal einen Mann ertrinken sehen. Es war in einer kalten Winternacht vor vielen Jahren auf der Ostsee gewesen. Die Fähre nach Swinemünde pflügte durchs schwarze Wasser. Joel spielte an Bord Saxophon gegen Verpflegung, alkoholische Getränke und Trinkgeld. Der kleingewachsene Mann hatte lange mit einem Gin Tonic in der Hand auf einem Barhocker gesessen. Dreimal hatte er «As Time Goes By» hören wollen, bis er ohne ein Wort ging. Im ersten Licht der Dämmerung tauchte er lediglich mit einem roten Pyjama bekleidet auf dem Achterdeck auf. Er kletterte auf die Reling, breitete die Arme aus und stürzte sich wie ein Fregattvogel in die Tiefe. Als er für eine Sekunde wieder an die Wasseroberfläche kam, wie eine rote Blume in der Gischt des Kielwassers liegend, wirkte er glücklich. Dann verschwand er in der Tiefe.
Drei Selbstertränkungen später stieg Joel aus der Badewanne und hüllte sich in seinen Morgenrock. Widerwillig warf er einen Blick in den Badezimmerspiegel. Die Lampe hatte er absichtlich nicht eingeschaltet. Dennoch entging ihm die dunkle Schwellung in seinem Gesicht nicht. Schon zweimal innerhalb von drei Tagen hatte er Schläge einstecken müssen, und noch immer hatte er Blutgeschmack im Mund. Er spuckte ins Waschbecken und verließ das Bad.
Dann saß er eine ganze Weile lang vollkommen unbeweglich und mit
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