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Gottes Zorn (German Edition)

Gottes Zorn (German Edition)

Titel: Gottes Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olle Lönnaeus
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länger und etwas unbändiger sein, so, wie es der Prophet vorgeschrieben hat. Doch Osama möchte nicht zu sehr auffallen. Deswegen hat er ihn sorgfältig auf eine Länge von ein paar Zentimetern gestutzt.
    Er streicht sich nachdenklich mit der Innenseite des Daumens und den anderen Fingern über die weichen Haare. Den Kaftan trägt er nur, wenn er zu Hause ist und keiner ihn sieht. Aber mitten im Winter wäre es sowieso zu kalt, damit draußen herumzulaufen. In einen warmen Dufflecoat gekleidet, dazu Jeans und Wollmütze, die er weit über die Ohren zieht, so sieht Osama hier im neuen Land aus.
    Wenn sie ihn doch nur in Ruhe ließen.
    Aber die Frau bei der Arbeitsvermittlung bestand darauf, ihm zur Begrüßung lange die Hand zu schütteln und ihn mit einem mütterlichen Lächeln zu bedenken, das vor selbstzufriedener Mildtätigkeit nur so triefte. Osama schaudert angesichts der Erinnerung. Sein Körper war steif wie ein Brett geworden. Doch er hatte zurückgelächelt. Wenn man nur lächelt, sind sie zufrieden, denkt er. In die Augen schauen sie einem sowieso nicht.
    Er dreht den Wasserhahn auf und wäscht sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. Wen sieht er da vor sich? Wer ist das?
    Manchmal ist alles so selbstverständlich. So einfach. Warte auf deine Berufung. Heute der Dschihad, morgen das Himmelreich.
    Doch hin und wieder kommen ihm Zweifel: warum das Ganze?
    Er geht zum Fenster und schaut auf die zugefrorene Stadt hinaus. In der letzten Zeit ist sie ihm immer fremder geworden. Auch heute Nacht leuchten die Sterne wieder kalt und klar. Der Morgen naht bereits. Also kann er ebenso gut wach bleiben und beten. Er leidet unter Schlafstörungen. Jede Nacht.
    Die Frau im Hochhaus gegenüber scheint die Einzige außer ihm zu sein, die nicht im Bett liegt. Sie steht wie immer am Fenster. Es sieht aus, als wäre sie fast nackt. Er schlägt die Augen nieder. Sie sollte ihren Körper bedecken, denkt er. Warum kann sie ihn nicht in Ruhe lassen?
    Unten schlägt die Haustür zu. Es hallt im Flur. Wahrscheinlich ist jemand die ganze Nacht lang unterwegs gewesen und hat gefeiert. Oder es war nur der Zeitungsbote. Er horcht nach Schritten, hört jedoch keine.
    Dann sieht er, dass ihn die Frau im Fenster auf der anderen Straßenseite anschaut. Osama spürt, wie er rot anläuft vor Zorn. Und noch aus einem anderen Grund. Im Stillen verdammt er sie. Er will auf keinen Fall Verlangen nach einer ungläubigen Frau verspüren.
    Die Straßenlaternen dort unten beleuchten mit blassem Schein die weißen Schneewälle, die von den Autos noch nicht mit Matsch bespritzt worden sind. Das Neonschild über dem Lebensmittelgeschäft in seinem Viertel, in dem er immer seinen Joghurt und seine Oliven kauft, ist kaputt. Drei Buchstaben sind erloschen.
A…llahs Lebensmittel
, blinkt es immer wieder rot auf. Abdullah ist zu Gott geworden. Bei dem Gedanken an den kleinen dicken Inhaber muss Osama lächeln. Eine Straßenecke weiter sieht er einen einsamen Mann mit einem Dackel an der Leine. Auf den meisten Autodächern auf dem Parkplatz liegt noch Schnee. Dort steht ebenfalls ein schwarzer Kastenwagen, der ihm bekannt vorkommt.
    Ein vages Gefühl der Unruhe drängt sich ihm auf. Als er vor ein paar Stunden hinausgeschaut hat, stand der Wagen noch nicht da. Oder vielleicht doch? Er macht das Licht aus und versucht zu erkennen, ob jemand hinterm Steuer sitzt, aber es gelingt ihm natürlich nicht. Dennoch meint er eine Bewegung hinter den dunklen Scheiben wahrzunehmen.
    Er wirft einen nervösen Blick auf seinen Laptop, der wie immer eingeschaltet auf dem Tisch steht. Der Bildschirmschoner setzt sich aus einem Kaleidoskop von tausend Farben zusammen. Er versucht sich alle Dateien in Erinnerung zu rufen, die auf der Festplatte gespeichert sind, alles, was sie gegen ihn verwenden könnten. Plötzlich bekommt er starke Magenschmerzen.
    Irgendetwas stimmt nicht.
    Das Telefonklingeln vorhin, ohne dass sich jemand meldete. Die zufallende Haustür. Warum waren keine Schritte im Treppenhaus zu hören? Der Kastenwagen. Mit einem Mal meint er sich zu erinnern, ihn schon mehrfach zuvor gesehen zu haben. War es unten auf der Straße? Oder als er im Park spazieren gegangen war? Oder hat er ihn vom Bus aus gesehen? Oder … Er spürt, wie sich Panik in seiner Brust ausbreitet.
    Seine Brüder haben ihn schließlich gewarnt und gesagt, dass sie überwacht werden. Ihn ermahnt, immer einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen

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