Gottes Zorn (German Edition)
geschlossenen Augen in dem schäbigen braunen Sessel vom Flohmarkt und harrte der Dinge, die kommen würden. Die Worte, die ihn in der Nacht verfolgt hatten, spukten noch immer in seinem Kopf herum.
«In seinem Inneren existierte nicht nur Dunkelheit.» Der Prediger hatte ausgesehen, als verrate er ihm ein Geheimnis.
Ich hab ihn überhaupt nicht gekannt, dachte Joel. Ich habe meinen eigenen Vater nicht gekannt.
Plötzlich wurde Joel von einer Sehnsucht nach Johanna übermannt. Sie überwältigte ihn ohne Vorwarnung. Der intensive Wunsch, vor sich hindösend neben ihr im Bett zu liegen, ihre Wärme zu spüren. Während durch ein geöffnetes Fenster hinter einer Gardine, die sich lautlos bewegte, ein kühler Lufthauch ins Zimmer wehte. Der Duft eines blühenden Apfelbaumes. Eine singende Amsel. Eine Stimme dicht neben seinem Ohr würde ihm etwas zuflüstern, und irgendwo im Hintergrund wären leise melancholische Saxophonklänge zu hören. Nie mehr so verdammt einsam sein.
Er schlug die Augen auf, um den Tagtraum zu vertreiben.
Du wusstest doch, dass es so kommen würde, dachte er. Du wusstest, dass sie Schluss machen würde.
Er unterdrückte den Impuls, ihre Telefonnummer herauszusuchen und sie anzurufen. Es macht keinen Sinn, sagte er sich. Ich habe mich entschieden und sie sich. Jetzt ist es zu spät, etwas daran zu ändern.
Dann ertappte er sich bei der Frage, was sie wohl von Mårten gehalten hätte. Der Gedanke war ihm nie zuvor gekommen. Auch nicht die Tatsache, dass Johanna überhaupt eine bestimmte Meinung über seinen Vater haben könnte. Sieben Jahre lang hatten sie zusammengelebt, aber Mårten hatte sie nie kennengelernt. Joel hatte nie von seinem Vater gesprochen, und bald hatte sie aufgehört zu fragen. Dass der Alte boshaft war, hatte sie sich schon denken können.
Draußen vor dem Fenster färbte sich der schwarze Himmel langsam grau. Aus dem Schlafzimmer drang ein gelbliches Licht. Joel betrachtete die Wände mit der unansehnlichen Blümchentapete. Britt hatte recht. Seine Bude war nicht gerade heimelig. Als Dekoration hatte er lediglich zwei Filmplakate aufgehängt, die er in einem Schrank gefunden hatte. «La dolce vita» neben der Küchentür. «Casablanca» über dem Sofa. Das Regal war voll mit Büchern; das Einzige, was er aus dem alten Haus mitgenommen hatte. Ich habe überhaupt keine Erinnerungsgegenstände, dachte er. Keine Fotos. Von keinem von ihnen.
Der Tag, als es aus war, kam plötzlich, wenn auch nicht unerwartet. Es war der Augenblick, in dem Johanna begriff, dass sie niemals Kinder bekommen würden. Es kam ihm vor, als wäre etwas in ihrem Inneren erloschen.
«Du bist so entsetzlich feige», sagte sie.
Bereute er es?
Joel schüttelte langsam den Kopf. Was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Das Reihenhaus hatte sie innerhalb von einer Woche verkauft. Johanna war schon immer praktisch veranlagt gewesen.
Als sie sich zum ersten Mal trafen, fühlte es sich für ihn an, als würde er in einen sicheren Hafen segeln.
Johanna Karlsson, Mittelstufenlehrerin und Palästina-Aktivistin. Attraktiv. Intelligent. Humorvoll. Anfänglich konnte Joel überhaupt nicht begreifen, warum in aller Welt sie sich ausgerechnet für ihn entschieden hatte.
«Mein trauriger Clown», nannte sie ihn.
Doch es dauerte nicht lange, bis sie fand, dass er aufhören sollte, in der Psychiatrie und im Altersheim Saxophon zu spielen, und stattdessen etwas «Richtiges» anfangen müsste.
Inzwischen war es fast genau ein Jahr her, dass Joel das Büro des Schulleiters betreten und erklärt hatte, dass er seinen Vertrag als Vertretungslehrer für Englisch und Musik nicht verlängern wollte.
Er stand vorsichtig auf, um den Schmerz nicht zu neuem Leben zu erwecken. Als der Kaffee durch die Maschine gelaufen war, war es fast hell draußen. Er hatte ihn stark aufgebrüht und trank ihn schwarz, auch wenn es im Magen brannte. Sein Backenzahn saß noch immer locker. Das feste Brot wanderte also wieder in den Kühlschrank. Flüssignahrung, dachte er. Damit der verdammte Zahn wieder anwächst.
Mårtens Taschenkalender lag auf dem Küchentisch, wo er ihn abgelegt hatte. Ein kleines zerknülltes Heft mit Pappdeckeln. Joel hatte eine ganze Weile lang suchen müssen, als er von seinem Besuch beim Prediger nach Hause gekommen war, bevor er ihn in der Hosentasche einer feuchten Jeans im Wäschekorb fand. Mehrere Stunden lang hatte er dagesessen, die abgegriffenen Seiten durchgeblättert und die kurzen Notizen gelesen.
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