Gottes Zorn (German Edition)
gellend, von Todesangst erfasst. Doch das schrille Lachen wurde nur noch lauter. Der Griff um Joels Nacken fester. Während es langsam dunkler wurde.
In dem Moment erklang eine andere Stimme.
«Jetzt reicht’s aber, Torsten!»
Die Worte waren leise ausgesprochen worden, erzielten jedoch einen unmittelbaren Effekt. Joel spürte, wie die Bestie ihn losließ.
«Ach, ich mach doch nur Spaß …»
Langsam richtete Joel sich auf. In seiner Schulter hämmerte der Schmerz. Mit der Zunge konnte er spüren, dass ein Backenzahn in seinem Mund locker war. Sein Herz raste noch immer vor Angst. Er wischte sich mit der Hand das Blut aus dem Mundwinkel.
Der Mann, der ihn überwältigt hatte, war groß und athletisch gebaut. Seine Wangen waren eingesunken, und an der Spitze seines Kinns wuchs ein weißer Ziegenbart. Sein Schädel war kahl, aber von seinem Nacken hing eine fettige Haarsträhne herab, die kaum dicker als ein Rattenschwanz war. In seinen hellen Augen blitzte pure Verrücktheit auf. Mit der Außenseite eines ölverschmierten Daumens rieb er sich den Schweiß aus der Stirn und entblößte schließlich grinsend einige halb verfaulte Zähne. Die Frau neben ihm war vollkommen grau. Ihr Haar, ihr Gesicht, ihre Augen, alles war grau, selbst der zottelige Pelzmantel, den sie sich über die Schultern gelegt hatte.
Wenn Joel es nur gewagt hätte, wäre er geradewegs zur Tür hinausgestürmt.
«Sie sind also der Prediger, ja?», brachte er hervor.
«So nennt man mich jedenfalls.»
Der Mann schaute Joel lange an, ohne noch mehr zu sagen, doch dann glitt sein Blick hektisch in Richtung des hinteren Teils des Holzschuppens. Dort stand eine offenbar selbst errichtete Stahlkonstruktion mit Rohren und Schläuchen, die zur Hälfte mit einer Plane abgedeckt war. Mit einem Mal begriff Joel, warum sie Fremden gegenüber so misstrauisch waren.
«Diese Pisse lohnt sich nicht mehr», schnaubte der Prediger. «Alle holen sich heutzutage ihren Schnaps aus Polen.»
«Müssen Sie mich deswegen fast umbringen? Ihr verfluchter Brennkessel ist mir scheißegal», murmelte Joel und rieb sich die schmerzende Kieferpartie.
Einen Augenblick lang erwog er, dem anderen die Faust ins Gesicht zu rammen. Doch irgendetwas in dessen hellen Augen, die sich unnatürlich aus ihren Höhlen vorwölbten, warnte Joel, dass ein Angriff böse enden könnte. Er schluckte etwas Blut und gleichzeitig seinen Stolz herunter.
«Das ist Mårtens Sohn», sagte die Frau plötzlich.
«Ich weiß …»
Sein verächtliches Grinsen bereitete Joel Übelkeit. Er bekam eine Gänsehaut, als er daran dachte, wie nahe ihm die Schneide des Holzspalters gekommen war. Doch dann versuchte er sich auf den Grund zu konzentrieren, der ihn zum Prediger geführt hatte.
Er wollte schließlich etwas in Erfahrung bringen.
«Wir züchten Lämmer hier draußen», erklärte die Frau plötzlich mit milder Stimme. «Meistens bleiben sie den Winter über draußen. Aber jetzt ist es so kalt, dass wir sie in den Stall gebracht haben.»
«Aha …», entgegnete Joel.
«Sie fressen Sand-Thymian», erläuterte der Prediger. «Die blöden Touristen … Man kann ihnen doch alles unterjubeln. Rakel verkauft das Fleisch an einen Händler in Spjutstorp. Denn hier will ich dieses Gesocks nicht haben.»
«Möchten Sie einen Kaffee?», fragte die Frau.
Joel schaute sie verwirrt an. Erst schlagen sie mich fast tot, dachte er, und dann laden sie mich zum Kaffee ein!
«Der Junge will keinen Kaffee», sagte der Prediger. «Er ist hergekommen, um Fragen zu stellen.»
Man konnte seiner Miene nicht ansehen, ob er sich tatsächlich dem Willen seiner Frau gefügt hatte oder noch immer darüber nachdachte, Joel in den Holzspalter zu pressen.
«Und?»
Der Prediger schaute ihn auffordernd an. Doch dann blitzte in seinen Glubschaugen eine gewisse Freundlichkeit auf. Mit einem Mal schien es, als hätte er alle Zeit der Welt. Vielleicht hatte er Joel wirklich nur Angst einjagen wollen.
«Was wollten Sie wissen?»
«Jemand hat behauptet, Sie kannten Mårten …»
«Und wer?»
«Irgendjemand … Ich hab es im Ort gehört. Wohl ein Gerücht.»
Er schwieg lange. Joel rieb sich die Wange und wartete.
«War das eine Frage?», meinte der andere schließlich.
«Ja.»
«Dann lautet die Antwort nein. Denn keiner kannte Mårten wirklich. Kein Mensch …»
Der Prediger hielt inne und schob die Hand in die Jackentasche seiner verdreckten Waldarbeiterjacke. Noch bevor er sie durchsucht hatte, reichte seine
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