Gottes Zorn (German Edition)
der verdammten Bruchbude draußen in der Pampa gewohnt hatte. Der Gedanke, dass sein Vater auf den Tanzflächen der Umgebung erfolgreich Frauen aufgerissen haben sollte, erschien ihm fremd. Hatte er überhaupt tanzen können? War er ein guter Liebhaber gewesen? In Joels Vorstellung existierte lediglich ein Mårten, der in allem, was er tat, grobschlächtig und plump war.
«Ja, ich habe schon damals von Mårtens schlechtem Ruf gehört», sagte sie, während sich auf ihrer Stirn eine tiefe Falte bildete. «Ich bin ja nicht dumm. Aber wenn er mit mir zusammen war, verhielt er sich fast immer entgegenkommend und gutmütig.»
Sie nippte erneut am Kaffee und richtete sich mit einer koketten Handbewegung ihr blondes Haar.
«Man kann sagen, dass ich in all den Jahren seine Geliebte gewesen bin», gestand sie mit einem geheimnisvollen Lächeln. «Zumindest phasenweise.»
Dann musste sie amüsiert kichern, als käme ihr eine lustige Erinnerung in den Sinn.
«An einem Sommertag vor vielen Jahren nahmen wir die Fähre rüber nach Swinemünde und machten eine kleine Tournee entlang der Ostseeküste. Über Danzig und Gdingen bis nach Kaliningrad. Er spielte Akkordeon, und ich sang. Wir traten in unterschiedlichen Kneipen auf und stockten unsere Gage auf, indem wir auf der Straße spielten. Es brachte zwar nicht besonders viel ein, aber wir hatten Spaß. Wir nannten uns Monique und Molière, das klang charmant, fanden wir … Na ja, in Polen können sie ja nicht so gut Französisch.»
Das Akkordeon, dachte Joel. Wo war es eigentlich abgeblieben? Das rote Akkordeon mit schwarzem Balg und weißen Tasten. Hatte Mårten das alte Instrument tatsächlich verbrannt, was er so oft angedroht hatte zu tun, wenn es angesichts seines erbarmungslosen Traktierens jaulte und quietschte?
Plötzlich wurde Siw ernst. «Er hat viel von Ihnen gesprochen, Joel.»
«Das kann ich mir nur schwer vorstellen.»
«Doch, es ist wahr. Er hat oft geweint und bereut, dass er Sie so schlecht behandelt hat. Mårten war sehr traurig darüber, dass Sie ihm nicht verzeihen wollten.»
«Wie hätte ich ihm denn verzeihen können? Er hat ja nie von sich hören lassen!»
«Er hat es ja versucht …»
«Quatsch!»
Joel stand abrupt auf und begann in der Küche auf und ab zu gehen. Die aufkeimende Wut über ihr grenzenloses Verständnis für den alten Idioten hatte bewirkt, dass es in seinen Beinen wieder zu kribbeln begann.
«Sie sind verletzt, und das ist auch verständlich», sagte Siw leise.
Joel hielt inne, lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und atmete schwer.
«Er hat Ihnen doch Briefe geschrieben», sagte sie. «Mir hat er jedenfalls erzählt, dass es nicht ganz leicht war, Ihre Adresse ausfindig zu machen.»
Eine Erinnerung, die er offenbar stark verdrängt hatte, kam ihm schmerzhaft wieder in den Sinn.
Neben dem Reihenhaus sitzt eine Amsel auf dem Garagendach und singt. Ein Frühsommertag vor ungefähr sieben, acht Jahren. Joel stellt sein Fahrrad ab und sieht durchs Küchenfenster, dass Johanna schon zu Hause ist. Aber sie hat vergessen, die Post aus dem Briefkasten zu holen. Als er die Klappe anhebt, sieht er, dass darin ein weißer Briefumschlag mit handgeschriebenem Namen und Adresse liegt. Nichts Böses ahnend, reißt er ihn mit dem Zeigefinger auf. Die Handschrift ist ungelenk, als hätte der Verfasser viel zu fest mit dem Kugelschreiber aufgedrückt.
Lieber Joel
, steht dort, und er spürt, wie sich sein Herz zusammenkrampft, dann überfliegt er den Text rasch bis hin zur Unterschrift, und als er den Namen sieht, knüllt er den Bogen zusammen und wirft ihn in die Mülltonne. Dann öffnet er die Haustür, und Johanna kommt ihm entgegen, fragt, ob es irgendwelche Post gab. Nein, keine, antwortet er.
Es kamen noch zwei weitere Briefe.
Joel riss sie beide entzwei.
Kraftlos setzte er sich wieder an den Küchentisch und betrachtete Siw.
«Ich habe sie nie gelesen. Hab sie in den Müll geworfen, sobald ich gesehen hatte, von wem sie waren.»
Sein Bekenntnis schien sie nicht zu überraschen.
«Ich glaube fast, dass er es geahnt hat», meinte sie. «Ein paar Mal hat er davon gesprochen, Sie aufzusuchen. Aber er hat sich wohl nicht getraut.»
Sie lächelte zärtlich, was das schmerzhafte Ziehen in Joels Brust noch verstärkte. Ich hätte ihm eine Chance geben sollen, dachte er. Zumindest das eine Mal. Er ließ den Blick aus dem Fenster schweifen in der Hoffnung, etwas zu erblicken, das ihn ablenkte. Auf dem Dach des Holzschuppens hatte
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