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Gottes Zorn (German Edition)

Gottes Zorn (German Edition)

Titel: Gottes Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olle Lönnaeus
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passte eher in einen anrüchigen Nachtklub als zum starken Sonnenlicht. Sie betrachtete ihn blinzelnd.
    «Ich heiße Siw Wollgren», stellte sie sich mit trockenem festen Händedruck vor.
    «Aha», entgegnete er und schaute sie abwartend an. «Ich bin Joel.»
    «Ich kannte Ihren Vater. Ziemlich gut sogar.»
    Erst als sie ihren Namen noch einmal wiederholte, reagierte Joel.
    «Ich weiß nicht, ob Mårten je von mir gesprochen hat», sagte sie mit leicht unsicherer Stimme. «Siw Wollgren?»
    Der Taschenkalender. Jetzt tauchen sie also alle auf, dachte er. Einer nach dem anderen, wie Geister aus der Vergangenheit.
    «Vielleicht irgendwann mal», log Joel. «Aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern …»
    Die Frau brach in nervöses Gelächter aus, hielt jedoch plötzlich inne und lächelte stattdessen. Man sah es an ihren Augen, dass sie im Laufe der Jahre viel Alkohol konsumiert hatte. Aber früher muss sie einmal hübsch gewesen sein, dachte Joel. Sie pfriemelte eine Mentholzigarette aus einem Silberetui und zündete sie mit einem billigen Gasfeuerzeug an.
    «Sie ahnen gar nicht, wie viel Spaß wir zusammen gehabt haben, Mårten und ich. Wir standen uns übrigens viele Jahre lang sehr nahe.»
    Sie nahm einen tiefen Zug, der unmittelbar einen heftigen Hustenanfall auslöste. Als sie ihn schließlich stoppen konnte, indem sie sich mit der Hand kräftig gegen den Brustkorb schlug, schaute sie mit tränenerfüllten Augen auf.
    «Die bringen einen noch um», röchelte sie. Die Zigarette steckte zwischen zwei langen roten Fingernägeln. «Ich hätte schon vor langer Zeit aufhören sollen.»
    Nach einer Weile wurde die Stille so unangenehm, dass Joel keinen anderen Ausweg sah, als sie ins Haus zu bitten. Sie nahm die Einladung an und folgte ihm. Er kochte extra starken Kaffee, da sie aussah, als könnte sie es vertragen. Das Einzige, was er sonst aus der Speisekammer anzubieten hatte, war eine Packung Butterkekse. Als sie ihre Stiefel ausgezogen und sich an den Küchentisch gesetzt hatte, sah er, dass sie in einem Strumpf am großen Zeh ein Loch hatte. Der Fußnagel war rot lackiert. Sie ließ zwei Stück Würfelzucker in den Becher gleiten.
    «Sie sehen ihm nicht gerade besonders ähnlich», stellte sie fest, nachdem sie ihren Kaffee umgerührt und Joels Gesichtszüge näher in Augenschein genommen hatte.
    «Ich glaube, dass ich eher meiner Mutter ähnlich sehe», entgegnete er. «Aber ich weiß nicht …»
    Die Worte verhallten, ohne dass Siw sie gehört zu haben schien.
    «Eigentlich überhaupt nicht», sagte sie lediglich und tauchte einen Keks in ihren Kaffee.
    Während sie dort am Küchentisch saßen, stellte Joel fest, dass das Bild, das er von seiner Mutter in sich trug, ziemlich verschwommen war. Die Fotografie von Elna, die gerade die Leiter hinaufkletterte, war seit langem verschwunden. Aber ihre Augen hatten doch einen grünlich blauen Ton gehabt, oder? Ihr Haar, das ihr ins Gesicht fiel, war jedenfalls weizenblond. Manchmal sah er sie noch immer durch einen fiebrigen Schleier hindurch auf seiner Bettkante sitzen. Die hässliche Schwellung an ihrem Wangenknochen machte ihm jedes Mal Angst.
    Aber vielleicht war dieses Bild nur ein Produkt von Joels eigener Sehnsucht?
    Wo sie hingegangen war, wusste er nicht. Nachdem Elna sie verlassen hatte, ließ sie nie wieder von sich hören. Sein ganzes Leben lang war Joel davon ausgegangen, dass sie tot war. Das war in gewisser Weise das Einfachste. Irgendwelche anderen Fotos außer diesem hatte er nie zu Gesicht bekommen. Vielleicht hatte Mårten sie nach ihrem Verschwinden ebenfalls verbrannt.
    Plötzlich schoss Joel ein sonderbarer Gedanke durch den Kopf: Wenn es nun sie war, die zurückgekommen ist!
    Er betrachtete die Frau am Küchentisch und stellte fest, dass er mehr über sie in Erfahrung bringen musste.
    «Woher kannten Sie Mårten?»
    «Ich war Sängerin in einer Tanzband», antwortete sie. «Wir hießen Moonlighters. Vielleicht haben Sie ja schon einmal von uns gehört.»
    Joel schüttelte langsam den Kopf und registrierte, wie eine vage Hoffnung in ihr erlosch.
    «Wie auch immer, jedenfalls waren wir ziemlich bekannt. Haben oft auf Tingvalla und in Gislövs Stjärna gespielt. In der Zeit waren Mårten und ich zum ersten Mal zusammen. Er war zwar etwas älter als ich, aber ein richtiger Charmeur. Inzwischen ist das alles fast fünfundzwanzig Jahre her.»
    Joel errechnete im Kopf rasch die Jahreszahl. Es musste zu der Zeit gewesen sein, als er noch zu Hause in

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