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Gottes Zorn (German Edition)

Gottes Zorn (German Edition)

Titel: Gottes Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olle Lönnaeus
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grünen Augen.
    «Mårten hat es mir selbst erzählt, als wir uns begegnet sind», sagte er. «Ich wusste, dass er sterben würde.»

Kapitel  21
    Z um ersten Mal seit sehr langer Zeit wurde Joel von einer unwiderstehlichen Lust ergriffen, sein Saxophon hervorzuholen und darauf zu spielen. Er machte sich auf die Suche nach dem Instrument, sobald er nach Hause kam, und schließlich fand er den schwarzen Kasten zwischen Wollmäusen und schmutzigen Klamotten unterm Bett. Er öffnete ihn mit einem feierlichen Gefühl.
    Es war ein schönes Altsaxophon der Marke Jupiter, auch wenn das Messing fleckig und matt geworden war. Joel betrachtete es zärtlich. Vorsichtig nahm er das Instrument aus dem roten Seidenfutter und wog es in der Hand. Er ließ seine Finger über die Klappen gleiten und drückte sie prüfend. Ein Tropfen Öl könnte nicht schaden. In einer kleinen Plastiktüte fand er ein neues Rohrblatt. Er löste das Mundstück und setzte es ein.
    Die Lust hatte ihn ohne Vorwarnung im Auto auf dem Rückweg von Tomelilla gepackt. Joel hatte das Radio eingeschaltet, und zufällig spielte Clarence Clemons gerade ein atemberaubendes Solo in «Thunder Road», sodass es sofort in seinem ganzen Körper zu kribbeln begann. Die negativen Gedanken lösten sich auf: Mårten und seine Krebserkrankung, das schlechte Gewissen, das ihn nach Wetterströms Bescheid überwältigt hatte, und die Grübeleien über den Tod. Stattdessen erfasste ihn eine unbändige Lust zu leben, eine Lust zu spielen.
    War das alles, was dazu nötig war?, schoss es ihm durch seinen verwirrten Kopf. Eine knackige Bratwurst mit Kartoffelbrei und sauren Gurken gemeinsam mit Fatima.
    Als er auf die Verandatreppe hinaustrat, sah er, dass sich die Wolkendecke gelichtet hatte. Oberhalb der abgestorbenen Ulme ließ sich ein Milan im Wind treiben. Vom Dach des Holzschuppens tropfte es.
    Er stapfte mit dem Saxophon in der Hand über den Hof und begann den kleinen Hügel hinter dem Holzschuppen hinaufzusteigen. Auf der Nordseite lag der Schnee noch immer metertief, aber im Süden war er zusammengeschmolzen. Joel bekam zwar nasse Füße, konnte aber ansonsten ohne Schwierigkeiten bis ganz nach oben gelangen. Etwas kurzatmig blickte er über die sanft geschwungenen Äcker hinweg. Ein Stück weiter im Westen konnte er Gunnars und Britts großen Hof mit Scheunen und Geräteschuppen erkennen, eingebettet in ein Wäldchen. Er wusste, dass irgendwo weit im Osten Mårtens graues Eternithaus einsam und finster, aber vom Hügel aus außer Sichtweite lag. Die Sonne wärmte das Gesicht leicht.
    Hol mich der Teufel, wenn nicht Frühling in der Luft liegt, dachte Joel und legte sich den Riemen um den Nacken.
    Die ersten Töne klangen falsch und kraftlos. Er spuckte in den Schnee und setzte das Instrument erneut an die Lippen. Nach einigen weiteren Versuchen gelang es ihm, genau so viel Luft durch das Mundstück zu pressen wie nötig, und mit einem Mal begann die Musik zu fließen.
    Er begann mit dem Versuch, die Wehmut in «Over the Rainbow» einzufangen und ging dann zu einer schmachtenden «Moonlight Serenade» über. Als er langsam in Stimmung gekommen war, gelang es ihm sogar, Töne zustande zu bringen, die an Charlie Parkers Stil in «My Old Flame» erinnerten. Dann schmetterte er Clemons und fetzige Rock ’n Roll-Melodien von Springsteen und der E Street Band.
    Mit jedem Atemzug wurde Joel glücklicher.
    Als seine Lippen langsam zu schmerzen begannen, erblickte er ein kleines weißes Auto auf der Straße, die hinauf zum Haus führte, das er nicht kannte. Es fuhr langsam, hüpfte über Eisbuckel und tiefe Pfützen und ließ um sich herum Schneematsch aufspritzen. Hatten die Journalisten nicht aufgegeben? Irgendwer anders konnte es ja kaum sein.
    Die Frau, die aus dem Auto stieg, trug einen Pelzmantel mit Leopardenmuster und zwei rote Ohrenwärmer über dem Haar, das zwischen golden und hennafarben changierend leuchtete. Sie trippelte vorsichtig in ihren hochhackigen Stiefeln über eine Pfütze und hielt die Hand schützend über die Augen, als sie gegen die Sonne zu Joel hinaufblickte.
    «Ich hab Sie bis zur Landstraße hinunter gehört», rief sie. «Sie spielen schön.»
    Widerwillig schlitterte Joel den Hügel hinunter.
    «Sie sind doch Joel Lindgren, nicht wahr?», fragte sie, als er sie erreicht hatte.
    Aus der Nähe sah er, dass ihre Haut solariumgebräunt und faltig war. Am Haaransatz war ihr Haar grau. Ihre Lippen glänzten rosa, und der Lidschatten über ihren Augen

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