Gottes Zorn (German Edition)
hast ihn wirklich gehasst, oder?»
Joel starrte hinunter in sein Weinglas.
«Aber ich kann es dir wirklich nicht verübeln», sagte sie. «Schreibst du über all das in deinem Computer?»
«Über das und noch einiges andere …»
Sie saßen eine ganze Weile schweigend da. Dicht nebeneinander und dennoch durch einen unsichtbaren Schleier verflossener Zeit getrennt. Für einen Augenblick sah er Britt an einem Sommermorgen vor sich.
Sie hat braungebrannte Schultern und einen Atem, der angenehm süßlich riecht. Etwas unbeholfen zieht sie an einer Zigarette, ihre Augen leuchten, und wenn sie lacht, wirft sie den Kopf nach hinten, sodass ihre Locken schwingen.
Joel verspürte vor Freude ein Schaudern, das er bereits vermisste, noch bevor es wieder verschwunden war.
Sie weckte ihn mit einer unausgesprochenen Frage aus seinen Träumen.
«Du bist so plötzlich weg gewesen …?»
«Mm …»
«Du hättest mal von dir hören lassen können.»
Joel schwieg. Verdrängte die Scham.
«Wie lange ist es eigentlich her? Zwanzig Jahre?»
«So um den Dreh …»
«Eigentlich hat es keinen weiter erstaunt. Aber dann haben wir gehört, dass du in irgendeiner merkwürdigen Sekte in Småland gelandet bist.»
«Wer hat das denn erzählt?»
«Weiß ich nicht mehr. Es war eher ein Gerücht.»
Joel stand unvermittelt auf und ging in die Küche, um die Weinflasche zu holen.
«Jetzt möchte ich auch einen Schluck», sagte sie, als er zurückkam.
Sie trank verhalten, überhaupt nicht so wie früher. Aber ihre Lippen bekamen denselben feuchten Glanz. Als sie ihr Glas absetzte, wirkte sie plötzlich unsicher, als befürchtete sie, eine Grenze überschritten zu haben.
«Ich hab mich vorher nicht getraut, dich zu fragen.»
«Damals schien es mir eine gute Idee zu sein», sagte Joel. «Ich war ja noch recht jung.»
«Und wie war es?»
Widerwillig rief sich Joel die Erinnerung an diese Zeit ins Bewusstsein, die er vor kurzem in Worte zu fassen versucht hatte. Die Männer, die in ausgeblichenen Hemden Holz hackten. Die Frauen, die Wasser trugen, Essen zubereiteten und Geschirr spülten, während die Fliegen in der Küche surrten. Die Kinder, die noch nichts begriffen. In den Holzhäusern mitten im Nadelwald roch es immer nach Schmierseife. Die Lieder, die sie sangen, ertönten immer mit demselben verbissenen Ernst. Der Winter, der so streng war. Nicht einmal im Sommer, wenn die Luft vor Hitze vibrierte und es in den Ameisenhaufen von Leben nur so wimmelte, vermochte die Sonne die Schatten zu vertreiben.
Jetzt, so lange danach, kam ihm alles ziemlich unwirklich vor.
«Diese Menschen haben alles für einen gemacht», antwortete Joel. «Es kam mir vor, als wäre ich von einer großen Familie adoptiert worden. Für alles, was man tat, gab es Regeln. Alles war vorherbestimmt. Anfänglich war es angenehm, nicht selbst denken zu müssen. Doch irgendwann habe ich keine Luft mehr bekommen. Ich hab Panik gekriegt. Und dann bin ich nach Kopenhagen gegangen und Koch geworden. Oder Tellerwäscher …»
«Wie schrecklich! Es klingt fast, als hätte man dich einer Gehirnwäsche unterzogen.»
Er zuckte mit den Achseln und schenkte sich Wein nach.
«Mag sein … Ich bin jedenfalls froh, dass ich rechtzeitig abgehauen bin.»
«Ohne bleibenden Schaden?»
«Einen kleinen Schaden hab ich wohl schon», antwortete Joel lächelnd. «Wie hätte ich ohne davonkommen sollen?»
«Nein, wie hättest du? Ohne Mutter. Und mit einem Vater, der gesoffen und herumgebrüllt hat.»
Genau in dem Moment ertönte eine fröhliche Melodie in Britts Strickjacke. Sie zuckte zusammen und schob die Hand in die Tasche. Zog etwas unbeholfen ihr Handy heraus und starrte erschrocken darauf, ohne ranzugehen.
«Es ist Gunnar. Ich muss los.»
Plötzlich hatte Joel den Eindruck, dass sie müde aussah. Ihre Wangen wirkten so blutleer. Und die Haarsträhne, die ihr über die Schläfe fiel, hatte die nicht einen leichten Grauton?
«Was ich vorhin gesagt habe, meine ich wirklich ernst», sagte Joel.
«Was denn?»
Sie war bereits auf dem Weg in den Flur, als sie innehielt.
«Dass du dich scheiden lassen solltest. Ich kapier nicht, wie du es jahrein, jahraus mit diesem sauertöpfischen Idioten aushältst. Du hast wirklich was Besseres verdient.»
Erst als sie ihren Mantel angezogen und die Strickmütze weit in die Stirn gezogen hatte, drehte sie sich zu ihm um und kniff die Augen zusammen.
«Man gewöhnt sich dran», sagte sie und verschwand in der Dunkelheit.
***
A
Weitere Kostenlose Bücher