Gottes Zorn (German Edition)
den Reichstag in die Luft jagen. Aber die sind ja selbst schuld, die Stockholmer.»
Joel nahm die Fernbedienung zur Hand und erhöhte die Lautstärke.
«Das ist eine Sondersendung», murmelte er.
«Zugleich», fuhr der Premierminister fort, «will ich betonen, dass wir diese extremistische Tat nicht als Vorwand dafür nehmen dürfen, Menschen in irgendwelche Kategorien einzuteilen. Schweden soll auch in Zukunft unabhängig von Konfessionen offen und tolerant gegenüber allen sein, damit wir stolz auf unser Land sein können.»
«Scheiß der Hund drauf», knurrte Gunnar.
Im nächsten Augenblick wechselte das Bild. Ein Journalist berichtete von der Pressekonferenz der Polizei. Joel erkannte Bill Lundström im Hintergrund. Ein Mann, der vermutlich sein Chef war, erklärte, dass die Säpo zwar keine Details über die Ermittlungen bekannt geben dürfe, man aber davon ausgehe, dass es sich um einen terroristischen Anschlag handele. Danach kam erneut ein Schnitt, woraufhin Kameraaufnahmen von Mårtens Haus gezeigt wurden. Das blau-weiße Absperrband der Polizei zeichnete sich vor den Schneewällen ab. Auf der Weidenallee stand eine lange Reihe Autos, und hinter der Hecke wartete eine Schar verfrorener Schaulustiger.
Die nächste Politikerin war die Vorsitzende der Zentrumspartei. Sobald Gunnar sie auf dem Bildschirm erblickte, spuckte er aus und fauchte: «Nicht zu fassen, dass sie diese schnatternde Fotze aus Norrland auch noch zeigen müssen. Ist doch alles ihre Schuld. Gleich nach Fälldin ist es mit der Zentrumspartei den Bach runtergegangen. Er war ja immerhin Bauer.»
«Das ist sie doch auch», entgegnete Joel missmutig und stellte den Fernseher ab, um sich nicht noch mehr anhören zu müssen.
Gunnar warf ihm einen bösen Blick zu, begnügte sich aber mit einem Schnauben.
«Du musst jetzt gehen», sagte Joel. «Du bekommst dein Geld, sobald ich wieder in den Ort komme.»
Im Flur hatte sich eine Pfütze unter Gunnars Stiefeln gebildet. Mit einem aufgesetzt klingenden Stöhnen zog er sie an.
«Und, haben sie schon von sich hören lassen?», fragte er, als er sich aufgerichtet und die Pelzmütze auf den Kopf gedrückt hatte.
«Wer denn?»
Gunnars Lippen verschmälerten sich zu einem gewitzten Grinsen.
«Die Terroristen. Mohammedaner. Journalisten. Was weiß ich. Denn wie’s aussieht, wird hier bald die Hölle los sein.»
Joel wurde von dem unangenehmen Gefühl ergriffen, dass Gunnar recht haben könnte. Er streckte sich rasch vor und öffnete die Haustür. Für einen Augenblick schlug ihm Gunnars Atem entgegen.
«Ich hab gehört, dass du meine alte Winchester aus dem Keller hervorgeholt hast», sagte der Nachbar schadenfroh. «Ohne Knarre ist man hier draußen aufgeschmissen. War ziemlich nett von mir, sie hierzulassen, oder? Man muss sich das Ungeziefer vom Leib halten, verstehst du? Ansonsten ist man geliefert. Hast du das endlich auch kapiert?»
Noch bevor Joel die Tür schließen konnte, hörte er ihn über die Schulter rufen.
«Wenn du willst, komm ich mit dem Radlader und pflüg den Schnee bis runter zur Landstraße weg. Damit du zum Automaten kommst.»
«Scheiß drauf. Ich warte, bis es taut», murmelte Joel und schloss die Tür hinter sich.
Der John Deere machte einen ohrenbetäubenden Lärm, als Gunnar ihn wendete und vom Hof donnerte.
***
A m späten Nachmittag gelang es Joel, einige Sätze über die Sekte zu formulieren:
Anfänglich habe ich nie gezweifelt
, schrieb er auf seinem Laptop.
Alles war so wunderbar. Einer der Auserwählten zu sein. Einer derjenigen, die die Wahrheit gefunden hatten
.
Er lehnte sich in seinem abgewetzten Sessel zurück und betrachtete seine Worte. Versuchte nachzuspüren, ob sie authentisch klangen.
Nach einer Weile begann sich die Rastlosigkeit in seinen Beinen bemerkbar zu machen. Millionen kleiner Stiche durchzuckten seinen Körper, als wäre eine Armee von Ameisen in seine Blutbahn eingedrungen. Als Joel das letzte Mal von diesen Symptomen geplagt worden war, hatte er alle Gesundheitsratgeber durchsucht, die er im Internet finden konnte, und war dabei auf eine Reihe beunruhigender Anzeichen für sowohl MS als auch Alzheimer gestoßen. Jetzt versuchte er die Gedanken daran zu verdrängen. In klaren Augenblicken wurde Joel jedoch bewusst, dass die einzige Krankheit, an der er litt, Hypochondrie war. Und die war wahrscheinlich erblich, dachte er.
Vielleicht aber konnte man Melancholie auch als Krankheit bezeichnen.
Er empfand die Dämmerung als eine Zeit
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