Gottes Zorn (German Edition)
Mårtens Bild aus der Putzkammer hervorholte.
Fatima machte sich einige Notizen in ihrem Block.
«Gut», sagte sie dann. «Es dürfte keinerlei Probleme bereiten, die Staatsanwältin um eine Hausdurchsuchung bei diesem Mann zu bitten.»
***
D as Schlafzimmer hätte Joel am liebsten ausgelassen. Seit Elna weggegangen war, hatte er nie wieder einen Fuß dort hineingesetzt. Er schnupperte vorsichtig. Aber ihren Geruch hatte sie natürlich nicht hinterlassen. Es war schließlich mehr als dreißig Jahre her. Jetzt roch es in diesem Zimmer lediglich nach altem Männerschweiß.
Mitten im Raum stand ein Bett, das so stark durchhing wie ein schlachtreifer Esel. Das Laken war entfernt worden, die Matratze war fleckig und schmuddelig. Hatten sich Helga und Mårten etwa dort geliebt? Der Gedanke war so abstoßend, dass Joel ihn rasch wieder verdrängte. Helga würde so etwas niemals tun. Nicht in diesem Bett. Auf der weißen Kommode waren Spuren von schwarzem Pulver zu erkennen. Die Polizei hatte offenbar auch dort nach Fingerabdrücken gesucht.
«Das letzte Zimmer», hörte er Fatima hinter sich sagen. «Fällt Ihnen irgendetwas auf?»
Er betrachtete die gräulich verfärbten Wände. Ein einziges Bild, eine überdimensionale Auferstehung in Rot und Gold. Mårtens verschlissener Morgenmantel hing an einem Haken.
«Nein», antwortete Joel. «Nichts, was Sie nicht auch sehen.»
Seine Beine fühlten sich mit einem Mal unendlich schwer an, als ginge ihm die Kraft aus. Aber sich auf die Bettkante zu setzen, brachte er nicht über sich. Stattdessen zog er die Gardine auf und schaute aus dem Fenster hinaus auf das kleine Wäldchen weit draußen auf dem Acker.
«Ist Ihnen das Ganze unangenehm?»
Aus irgendeinem Grund wollte er nicht antworten.
Als er sich wieder umdrehte, kam ihm das Zimmer viel dunkler vor. Fatima stand gegen den Türpfosten gelehnt. Auf gut Glück zog er die Schubladen der Kommode heraus. Als er bei der dritten angelangt war, segelte ein gelber Zettel heraus und landete auf dem Fußboden.
Er beugte sich hinunter und hob ihn auf. Es war ein Rezept. Der Name der Medizin sagte ihm nichts. Aber unter der eilig hingekritzelten Unterschrift des Arztes stand in deutlicheren Druckbuchstaben:
Dr. Stig Wetterström
.
«Der Name kommt mir bekannt vor», sagte Joel und reichte ihr das Rezept.
Bereits im Voraus ahnte er, dass sie sauer sein würde, weil er so lange damit gewartet hatte, ihr von Mårtens Taschenkalender zu berichten. Er räusperte sich beschämt und schob seine Hand in die Hosentasche.
«Ach ja, da ist noch etwas, was ich vergessen habe, Ihnen zu erzählen …»
***
A ls Fatima wieder im Wagen saß und auf der Landstraße in Richtung Süden nach Ystad fuhr, bereute sie, dass sie die Fassung verloren hatte. Sie war wütend geworden. Hatte ihn einen Idioten genannt und nicht aufgehört zu schimpfen, bis es aussah, als würden ihm die Tränen in seine großen schönen blaugrünen Augen schießen. Das war normalerweise nicht ihre Art.
Unprofessioneller geht’s nicht!, fluchte sie im Stillen. Ich bin völlig aus dem Gleichgewicht.
Aber wie zum Teufel konnte er nur den Taschenkalender vergessen? Inzwischen war ja fast eine ganze Woche vergangen. Begriff er denn nicht, dass diese Telefonnummern wichtig sein konnten? Sie griff nach ihrem Handy, um Lundström anzurufen, überlegte es sich jedoch anders und warf es auf den Beifahrersitz.
Jetzt war es auch egal.
Stattdessen schaltete sie das Radio ein. Schließlich fand sie einen Sender, der klassische Musik spielte. Genauer gesagt, Beethoven. Die Melodie beschwor die Erinnerung an all die Stunden herauf, die ihr Vater darauf verwendet hatte, ihr auf dem Klavier «Für Elise» beizubringen. Und ich hab geglaubt, seine Geduld geerbt zu haben, dachte sie. Zur Ruhe kam sie allerdings nicht. Eher gingen ihr die leichtfüßigen flüchtigen Töne auf die Nerven. Sie schaltete das Radio aus.
Um die Gedanken in ihrem Kopf zu strukturieren, begann sie noch einmal durchzugehen, was bei der Vernehmung Joels herausgekommen war.
Der sogenannten Vernehmung, dachte sie.
Wer war er eigentlich?
Sie hatte ihn natürlich darum gebeten, ihr noch einmal im Detail von seinem früheren Leben und seinem Verhältnis zu Mårten Lindgren zu berichten. Außer dem, was sie bereits wusste, hatte er nicht besonders viel erzählt: Joel war in jungen Jahren von seinem Vater in die Flucht getrieben worden und hasste ihn seitdem. War dann bei einer merkwürdigen Sekte in der
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