Gottes Zorn (German Edition)
starrten.
«Mårten hatte doch selbst Schuld. Er hat es doch geradezu herausgefordert.»
Nur das. Ohne sich näher zu erklären.
Fatima hatte geschwiegen. Aber als sie jetzt auf dem Sofa lag und an die Decke starrte, bereute sie, dass sie ihn nicht am Kragen gepackt, geschüttelt und ihm geradewegs ins Gesicht geschrien hatte: «Wie können Sie nur etwas so Dämliches sagen! Allein derjenige, der Ihren Vater erwürgt hat, trägt die Verantwortung für seinen Tod. Und niemand anders!»
Kapitel 20
S chwere Tropfen fielen auf das Fenstersims. Fatima blieb mit geschlossenen Augen im Bett liegen und überlegte, was das Geräusch zu bedeuten hatte. Es hätte ein warmer Sommerregen sein können. Doch dann erinnerte sie sich an die Eiszapfen, die sie an der Dachrinne hatte hängen sehen. Man müsste sie entfernen, bevor sie herunterfallen und jemanden am Kopf treffen, hatte sie vergangene Woche gedacht. Jetzt begannen sie offenbar zu schmelzen. Das Wetter musste umgeschlagen sein.
Mit einem Mal war sie hellwach.
Und voller Energie.
Sie hatte geschlafen wie ein Stein, gnädig befreit von allen belastenden Gedanken, mit denen sie sich in der letzten Zeit den Kopf zermartert hatte.
Ein tiefer, ungestörter Schlaf ohne Träume.
Als sie die Jalousie hochzog, sah sie, dass der Schneefall in Regen übergegangen war und sich auf dem Gehweg zwischen den Schneewällen bereits Pfützen gebildet hatten. Sie stellte sich nackt vor den Spiegel. Drehte und wendete sich. Kniff sich prüfend in eine Pobacke. Zog den Bauch ein und streckte ihren Busen ein wenig vor. Warf das Haar zurück und lachte ihr Spiegelbild verführerisch an.
Ich werde verdammt noch mal rausgehen und eine Runde joggen, dachte sie.
Innerhalb von einer Minute hatte sie sich Sportunterwäsche und Trainingskleidung angezogen, einen zusätzlichen Fleecepulli über den Kopf gestreift und ihre knallroten Nikes geschnürt, die sie im Herbst gekauft, aber kaum getragen hatte.
Ich werde ein neues gesundes Leben beginnen, dachte sie im Treppenhaus.
Vor der Haustür legte Fatima den Kopf in den Nacken und schaute gen Himmel, wie sie es immer tat. Der Regen fühlte sich auf ihrer Haut angenehm kühl an. Sie schloss die Augen und genoss es. Dann zog sie die Mütze über die Ohren und startete.
Sie lief in hohem Tempo los, musste jedoch bald die Geschwindigkeit drosseln, da es spiegelglatt war. Der Regen hatte den Schnee zusammengepresst und lag jetzt wie eine verräterische Schicht über dem Eis. Während sie mehr rutschte als lief, spritzte ihr das Wasser plätschernd gegen die Beine. Nach wenigen hundert Metern war Fatima außer Atem. Mist, dachte sie und erinnerte sich daran, wie stolz ihr Vater Mahmoud gewesen war, als sie die Meisterschaft der Polizeihochschule im Crosslauf gewonnen hatte. Nach einem Kilometer war sie kurz davor aufzugeben. Doch dann erreichte sie den Österled, der hinaus nach Sandskogen führte und offenbar eine Weile lang nicht geräumt worden war, sodass ihre Schuhe besseren Halt im Schnee fanden. Sie nahm wieder Geschwindigkeit auf. Der Regen begann nachzulassen. Ein Lastwagen fuhr an ihr vorbei und ließ eine Ladung Schneematsch aufspritzen.
Als sie auf einen Pfad hinunter in Richtung Meer abbog, erblickte sie eine neongrüne Figur zwischen den Kiefern. Einen Langläufer. Er stieß sich frenetisch mit den Stöcken ab, und als sie näher kam, sah sie, dass er vor lauter Anstrengung ganz rot im Gesicht war. Es war Björn Bernhardsson. Die langen Skier, die Stöcke und der leuchtende Trainingsanzug an seinem schmächtigen Körper erinnerten sie an ein exotisches Insekt.
«Hej, Björn!», rief sie und winkte.
Der Hauptkommissar schaute unter seiner Zipfelmütze kurz auf, ließ sich jedoch nicht beirren.
«Verdammter Pappschnee!», keuchte er wütend.
«Warten Sie! Ich wollte Ihnen sagen …», rief Fatima seinem Rücken hinterher.
«Keine Zeit!», brüllte er über die Schulter hinweg. «In einer Woche ist Wasalauf!»
Fatima konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Den Anzug hat er sich bestimmt in Thailand gekauft, dachte sie.
Langsam nahm sie wieder Tempo auf. Sie spürte es in den Beinen, dass sie lange nicht mehr trainiert hatte. Doch nach einer Weile kam sie in einen angenehmen Rhythmus. Ihre Gedanken machten sich selbständig, und es dauerte nicht lange, bis sie bei dem düsteren schmutzig grauen Eternithaus am Ende der Weidenallee draußen in der Einöde landeten. Es war ihr ein Rätsel, wie der Mörder es geschafft hatte,
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