Gottes Zorn (German Edition)
es ein Schatten gewesen, der sich im Dunkeln bewegt hatte? Er schüttelte langsam den Kopf.
«Die Tür war nicht abgeschlossen. Auf der Verandatreppe lag massenweise Schnee. Ich musste ziemlich stark ziehen, um sie zu öffnen.»
«Reden Sie weiter.»
«Eine Katze. Ich habe eine Katze gesehen, die sich im Flur davonschlich. Eine schwarze Katze.»
«Sie ist nicht mehr da», erklärte Fatima hinter seinem Rücken. «Wir haben massenweise Katzenhaare gefunden, aber die Katze muss davongelaufen sein.»
«Mårten mochte Katzen.»
«Fahren Sie fort.»
«Hier im Zimmer ist es dunkel. Zuerst sieht es aus, als schwebe er frei in der Luft. Als ich ihn mit der Taschenlampe anleuchte, ist er völlig blau im Gesicht. Auf dem Boden liegt ein umgekippter Stuhl. Mein erster Gedanke ist, dass er sich erhängt hat.»
«Irgendwelche Geräusche?»
Joel horchte innerlich. War da nicht eine Wanduhr, die tickte? Jetzt konnte er sie allerdings nirgends erblicken. Vielleicht hatte sie nur in seinem Kopf existiert.
«Nichts, an das ich mich erinnern könnte. Nichts außer dem Sturm.»
«Und was haben Sie dann gemacht?»
«Ich berühre seine Hand.»
Mit äußerster Willensanstrengung versuchte Joel, sich das Gefühl in seinen Fingerspitzen in Erinnerung zu rufen. Er kniff die Augen noch fester zusammen. Diese behaarte raue Hand. Hatte er seine Fingernägel auch berührt? Der einzige Körperkontakt.
«Er ist kalt. Glaube ich.»
«Glaube …?»
«Ich weiß ja bereits, dass er tot ist. Im Schein der Taschenlampe habe ich es sofort gesehen. Ja, er muss bereits kalt gewesen sein.»
Sie ließ ihn eine Weile nachdenken.
«Und dann?»
Aber mehr kam nicht. Als Joel nur noch Dunkel vor sich sah, drehte er den Kopf und schaute zu Fatima hoch.
«Dann ist da nur noch Leere. Ich muss neben dem Kamin das Bewusstsein verloren haben.»
«Warten Sie!»
Sie legte ihm eine kühle Hand auf die Stirn, zwang ihn, die Augenlider zu schließen und erneut in seine Erinnerungen einzutauchen.
«Sie erwachen wieder …», sagte sie mit einer Stimme, die wieder nahezu hypnotisch klang.
Joel tastete sich erneut zurück in die Vergangenheit. Die Stille. Im Haus herrscht absolute Stille, als er wieder zu sich kam. Die gefrorene Landschaft, über die er durchs Fenster hinausgespäht hatte, leuchtete in der Morgendämmerung blau und grau.
«Es hatte aufgehört zu stürmen», sagte er. «Alle Geräusche waren weg. Ich glaube sogar, dass die Krähen verstummt waren. Und ich hatte heftige Kopfschmerzen.»
«Und was tun Sie?»
«Mir ist total schwindlig. Mir ist schlecht. In meinem Kopf dreht sich alles, und ich glaube nicht, dass es vom Kater kommt. Ich suche nach einem Halt, und es ist, als würde ich fallen.»
Er spürte, wie der Strudel langsam nachließ. Dann spürte er Mårtens rauen Troyer an seiner Wange. Und eine widerliche Übelkeit.
«Ich habe nach ihm gegriffen. Als sich alles um mich herum drehte, hab ich nach ihm gegriffen. Und dann, als es nachgelassen hatte, sah ich, dass er mich höhnisch angrinste.»
Joel wurde von dem intensiven Wunsch überwältigt wegzurennen. Er stand aus dem Sessel auf.
«Und dann kamen Sie», sagte er.
***
A ls Joel durchs Fenster auf der Rückseite des Hauses hinausschaute, fiel sein Blick auf den alten Kaninchenstall unter der Kastanie, der zur Hälfte mit Schnee bedeckt war.
Er steht ja immer noch da, ging es ihm durch den Kopf.
Dort bin ich doch in dieser Sommernacht mit Graunäschen im Arm und einem glühenden Hass im Kopf eingeschlafen.
Er musste an Elna denken, die mit Erbrochenem bekleckert auf dem Fußboden im Flur lag, und an das Messer, das er versucht hatte, an sich zu reißen und Mårten in den Rücken zu rammen.
Was wäre wohl geschehen, wenn ich ihn getötet hätte?
Im Hintergrund hörte er Fatima, und es lag ihm auf der Zunge, sie danach zu fragen, doch dann sah er ein, dass sie wahrscheinlich auch keine Antwort parat hatte.
Dann erblickte er den Hackklotz, und mit einem Mal war es wieder Winter wie damals auch.
Genau an dieser Stelle habe ich gestanden, dachte er. Genau hier am Fenster hab ich damals gestanden, als der Schnee genauso hoch lag wie jetzt, und die Nase gegen die Fensterscheibe gepresst.
Mårten mit der Axt in der Hand. Das Kaninchen zappelte, als er es an den Ohren packte und aus dem Käfig holte, aber alles ging so schnell, und ein paar Sekunden später spritzte rotes Blut auf den Schnee.
Ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen zu schreien, dachte Joel. Er
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