Gottesgericht
um 10.00 Uhr unserer Zeit sein wird. Wahrscheinlich dauert es eine Weile, bis das Statement veröffentlicht und übersetzt ist, auch wenn ich glaube, dass sich diese Leute um all das gekümmert haben. Aber damit haben wir etwas, um die Hörer zu fesseln, sobald die Sendung anfängt.«
»Okay. Dort ist es jetzt fast elf, aber ich werde versuchen, ihn zu erreichen. Sonst noch etwas?«
»Ich denke, wir sollten eine Reaktion der Botschaft hier bringen. Rede morgen früh mit Demir Orhun und sieh zu, ob er mit mir sprechen will.«
»In Ordnung. Und ich überlege gerade, Jane … Wie wäre es, wenn zu Beginn der Sendung jemand sozusagen den Boden bereiten würde.«
»Hm. In welcher Weise?«
»Spekulationen darüber, wer für eine solche Tat infrage kommt. Und eine Vorstellung davon vermitteln, wer für und wer gegen den türkischen EU -Beitritt ist. Wäre eine gute Einleitung zu Paddys Bericht.«
»Sehr gute Idee. Fällt dir jemand dafür ein?«
»Ja. Ich.«
»Du?«
»Glaub mir, ich habe so viel an diesem EU -Zeug gearbeitet, dass ich die Türkei im Dublin Castle vertreten könnte, wenn sie mich darum bitten würden.«
Jane lachte. »Das werden sie kaum tun. Du wirst also damit vorliebnehmen müssen. Du bist dabei.«
»Jawohl!«, jubelte Brady.
Jane beendete das Gespräch und trank ihr Glas leer. Nach kurzem Nachdenken lächelte sie, zunehmend zuversichtlich gestimmt. Dann ging sie zu ihrem Rucksack und zog die Flasche zollfreien Wein heraus, den sie auf dem Flughafen von Neapel gekauft hatte.
7
Demir Orhun war vom Außenministerium in Ankara nach Dublin geschickt worden, damit er sich im Vorfeld des türkischen EU -Beitritts um die Beziehungen zu den Medien kümmerte. Bisher war seine Aufgabe leicht gewesen, aber jetzt war plötzlich alles anders.
Er trank eine Tasse süßen Tee in seiner Wohnung in Mount Merrion und wartete auf die Neun-Uhr-Nachrichten des staatlichen Fernsehsenders RTE . Sein Handy blinkte pausenlos, da Journalisten versuchten, einen Kommentar zur Lage in Istanbul für die Montagszeitungen von ihm zu bekommen.
Es bestand kein Zweifel, dass die Besetzung der Hagia Sophia mit der Beitrittszeremonie in Dublin in Zusammenhang stand. Bislang war es allerdings nicht möglich gewesen, die genauen Ziele und den Hintergrund der Terroristen in Erfahrung zu bringen. Und es waren Terroristen – nicht ein Haufen militanter Demonstranten, die nach Publicity für ihre Sache strebten. Das Erste, was sie nach der Ergreifung des ranghöchsten Wachbeamten im Museum getan hatten, war, ihn mit seinem Personal außerhalb des Gebäudes Kontakt aufnehmen zu lassen und es davor zu warnen, in das Museum zu kommen. Um ihren Standpunkt zu unterstreichen, hatten sie ihn daraufhin erschossen, während seine Kollegen am Funkgerät zuhörten.
Eine Theorie, die frühzeitig kursierte, war, dass die Eindringlinge nicht mit Besuchern im Museum gerechnet hatten und dass diese Komplikation möglicherweise zu Unstimmigkeiten unter ihnen führen und sie verwundbar machen würde. Doch Orhun wusste, dass dies Wunschdenken war. Es sah nach geplantem Vorgehen aus, wenn sie das Sicherheitspersonal ausschalteten und die Geiseln gleichzeitig am Leben ließen.
Den neuesten Informationen zufolge handelte es sich bei den Geiseln um vierzehn Männer und sechs Frauen – sieben, wenn man die türkische Fremdenführerin Irem Selçuk mitzählte. Von China, Japan, Russland und den Vereinigten Staaten gab es jeweils zwei Vertreter, dazu je einen aus Aserbaidschan, Ägypten, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Jordanien, den Niederlanden, Schweden und der Schweiz. Auf den ersten Blick sah es aus, als hätten die Terroristen absichtlich ein breites Spektrum an Nationalitäten abdecken wollen. Es konnte aber auch sein, dass sie einen Vorschlaghammer benutzt hatten, um eine Nuss zu knacken, und manche Geiseln interessanter für sie waren als andere. Eine islamistische Gruppe beispielsweise würde vermutlich die beiden Amerikaner, den Israeli und den Briten einer besonderen – und für die betroffenen Unglücklichen – unerwünschten Aufmerksamkeit für wert befinden.
Doch wiederum stellte sich die Frage: Wer waren die Terroristen? Während Orhun seinen Tee trank, ging er im Geist die wahrscheinlichen Kandidaten durch. In der Türkei selbst reichten die Kritiker eines EU -Beitritts von säkularen Ultranationalisten bis zu einer bunten Fülle islamistischer Organisationen, welche die EU als einen beinahe so
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