Gottesgericht
dämonischen und verkommenen Feind wie die Vereinigten Staaten ansahen. Dann gab es jene Bewegungen an den Rändern seines Landes, die den Beitrittsprozess nur zu gern ausschlachten würden, um auf ihren Groll aufmerksam zu machen: militante Kurden, die fest entschlossen waren, einen unabhängigen Kurdenstaat zu errichten, Armenier, die erreichen wollten, dass die Türkei die Behandlung ihres Volks während des Ersten Weltkriegs als Völkermord anerkannte, griechische Nationalisten, die den Abzug der türkischen Truppen auf Zypern forderten. Und quer durch Europa selbst gab es eine Koalition rechtsextremer Gruppen, die antiislamische Gefühle geschürt hatten, um dem türkischen Beitritt entgegenzuwirken.
Früheren Geheimdienstberichten zufolge würden all diese Splittergruppen jedoch am ehesten in der Zeit zwischen der Unterzeichnung des Beitrittsabkommens in Dublin und dem tatsächlichen Beginn der türkischen Mitgliedschaft im September in Aktion treten. Während dieses Zeitraums sollten die übrigen Mitgliedsstaaten über die Ratifizierung des Türkei-Beitritts abstimmen, und in der Türkei selbst würde ebenfalls ein Referendum stattfinden.
Und doch passte die Bande in der Hagia Sophia nach Orhuns Ansicht in keine der von ihm in Betracht gezogenen Kategorien. In einem früher am Abend veröffentlichten Statement hatten sie davon gesprochen, sie würden den Sonntag als Tag des Gebets für die Christen respektieren. In seinen fünfundzwanzig Jahren als Journalist und Presseattaché hatte er nie gehört, dass islamische Extremisten ein ähnliches Zugeständnis gemacht hätten. Andererseits fielen ihm – ungeachtet aller verrückten Einzelpersonen – keine radikalen christlichen Gruppen ein, die jemals mit solcher mörderischer Aktion für ihre Sache auf der Weltbühne erschienen wären. Es war zwar immer möglich, dass eine Gruppe griechisch-orthodoxer Fanatiker sich zum Handeln entschlossen hatte, um die Hagia Sophia zurückzufordern, aber für Orhun hörte sich diese Sache mit dem Sonntag eher nach der vorsätzlichen List einer weder christlichen noch islamistischen Gruppe an, um antichristliche Gefühle in der Türkei und darüber hinaus zu schüren.
Die Herausforderung in den kommenden Tagen würde für ihn sein, wie er die sich entwickelnde Krise den irischen und internationalen Medien in Dublin präsentieren sollte. Der Botschafter hatte ihn angewiesen, fürs Erste nicht von den Verlautbarungen aus Ankara abzuweichen. Es gab also praktisch nichts, was er sagen konnte.
Was bedeutete das für die Radio-Features, die er mit dem Team von Wade’s World geplant hatte? Alles kam darauf an, ob die Beitrittszeremonie wie vorgesehen stattfand. Und das wiederum hing davon ab, wie sich die Lage in Istanbul entwickelte und von der Reaktion der EU auf den türkischen Umgang mit ihr. Ohne Frage würden sie ihn am Montagmorgen in der Sendung haben wollen. Doch solange er nichts zu sagen hatte, ergab das wenig Sinn.
Zufällig hatte er vorhin einen Anruf nicht von Jane Wade erhalten, sondern einen, der sie betraf. Der Anruf war an die Nummer in seiner Wohnung gegangen, die nur sehr wenige Leute kannten.
»Hier ist Maguire«, war eine mürrische Stimme zu vernehmen.
»Ich sagte, Sie sollen mich nur im äußersten Notfall unter dieser Nummer anrufen.«
»Ich kann Sie auf dem Handy nicht erreichen.«
Das stimmte.
»Also, warum rufen Sie an?«
»Ich habe weitere Informationen über JW für Sie.«
»Ich sagte, Sie sollen das Projekt herunterfahren.«
»Zufällig habe ich einen Blick auf ihre E-Mails erhascht, während sie weg war, und da ist ein interessanter Punkt aufgetaucht. Ein Freund von ihr, der für einige Jahre von Irland fort war, hat ihr geschrieben, dass er zurückkommt.«
»Und was ist daran so interessant?«
»Ich habe in ihren Dateien gewühlt und einen Presseartikel über ihn gefunden. Ich denke, das werden Sie interessant finden. Kostet übrigens nichts extra. Aber Ihre Aufträge sind stets willkommen.«
An diesem Punkt legte Orhun auf. Es gab einige verwirrende Fragen in Bezug auf Jane Wade, die Nachforschungen nötig gemacht hatten. Aus Gründen, die über seine offiziellen Pflichten hinausgingen.
8
Auf dem Weg zur Arbeit fiel Jane auf, dass sich die Bäume am Straßenrand und die Vorstadtgärten bemerkenswert verändert hatten, obwohl sie nur eine Woche fort gewesen war. Kirschblüten hingen reichlich an den Bäumen, Tulpen erfüllten die Blumenbeete mit Farbe, und an den nicht gemähten
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