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Gottesgericht

Gottesgericht

Titel: Gottesgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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Einsatz erhöht. Und sie haben die Geiselgeschichte in eine Art Realityshow verwandelt.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie fordern die türkische Regierung auf, das erste Opfer zu nominieren – so wie der Erste, der bei Big Brother das Haus verlassen muss, haha, nur nicht sehr witzig. Und sie haben weitere Fernsehshow-Elemente hinzugefügt, wie etwa, dass sie die Regierung mit den Handynummern aller Geiseln versorgt haben. Die erste Nummer, die sie anrufen, ist dann ihre Wahl. Die Frist ist Mitternacht in der Türkei, zehn Uhr abends hier. Und das Ganze wollen sie als Livestream im Internet zeigen.«
    »Aber wie … wo?«
    »Auf der Website des Türkischen Kultur- und Tourismusamts. Wie du weißt, ist die Frau, die die Führung durch die Hagia Sophia gemacht hat, eine Angestellte von ihnen, und sie haben gedroht, ihr etwas Scheußliches anzutun, wenn sie keinen Zugang zu der Seite erhalten.«
    »Das ist ja krank.«
    »Und es ist noch nicht alles. Sie haben nämlich auch für den Fall vorgesorgt, dass jemand auf die schlaue Idee kommt, alle Telefone gleichzeitig läuten zu lassen – wenn das passiert, wird jeder Geisel eine Hand amputiert. Und wenn sich die türkische Regierung weigert, eine Wahl zu treffen, werden alle Geiseln dasselbe Schicksal erleiden, das sie für das nominierte Opfer auf Lager haben – alle zur gleichen Zeit. Und so oder so wird es live auf ihrer Website gezeigt.«
    »Aber die türkischen Behörden werden die Website doch wohl dichtmachen, oder?«
    »Wenn sie das tun, wird das Gleiche passieren. Alle Geiseln werden leiden. Die Frage für uns lautet also: Schauen wir es uns an?«
    »Ich glaube nicht, dass ich es könnte. Könntest du es?«
    »Erinnerst du dich daran, wie Daniel Pearl enthauptet wurde? 2002 war das, glaube ich. Ich war im College, und die meisten von uns – oder jedenfalls die Jungs – haben sich das Video im Netz herausgesucht und es angesehen.«
    »Und die Mädchen?«
    »Die Mädchen größtenteils nicht. Zu zimperlich.«
    »Vielleicht hatten sie auch moralische Einwände, eine Hinrichtung anzusehen.«
    »Manche ja. Aber wir haben Journalismus studiert, und man sagte uns, wir müssten bereit sein, uns solchen Dingen zu stellen. Selbst Zeuge werden. Sich nicht darauf verlassen, was einem andere erzählen.«
    »Und wie hast du dich gefühlt, nachdem du das Video angeschaut hast?«
    »Schrecklich. Bis heute.«
    »Ich würde sagen, das ist ein gutes Zeichen.«
    »Jedenfalls wird das hier keine Hinrichtung sein.«
    »Nein, aber einem Haufen Sadisten dabei zuzusehen, wie sie einen unschuldigen Menschen quälen und erniedrigen, ist ebenfalls nicht nach meinem Geschmack.«
    »Nach meinem auch nicht gerade. Aber du weißt, wo du es findest, wenn du es dir anders überlegst.«

12
    Das Objektiv war auf ein Stück gemusterten Boden gerichtet, das wie ein steinerner Teppich in den hellen Marmor des restlichen Bodens gesetzt war. Der Schatten einer auf ein Stativ geschraubten Kamera wurde von einem Scheinwerferlicht in ihrem Rücken auf die runden Muster geworfen, durch die kreuz und quer ein paar Kabel liefen; wahrscheinlich Stromkabel und eine Verbindung zu einem Laptop, auf dem man jemanden tippen hörte. Gelegentlich war ein Brummen zu vernehmen, wenn ihm – es war ein Mann – bei seinem Tun etwas gelang oder misslang. Aber er befand sich außerhalb des Scheinwerferbereichs und warf keinen Schatten.
    Jane war beinahe schlecht vor ängstlicher Vorahnung. Doch nach ihrem Gespräch mit Joe hatte sie über das Thema nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass sie ihre persönlichen Gefühle hinsichtlich der bevorstehenden Ereignisse hintanstellen musste. Selbst wenn es nur darum ging, Solidarität mit den unglücklichen Opfern zu fühlen, war dies immer noch eine geringfügig bessere Haltung, als sie zu ignorieren und ihrem Geschick einfach zu überlassen. Und wenn das persönliche Gefühle in die Gleichung brachte, dann war es eben so – Journalisten mussten in ihren Beobachtungen vielleicht leidenschaftslos sein, aber das hieß nicht, dass sie emotionale Zombies zu sein hatten.
    Jane betrachtete den rechteckigen Bodenausschnitt. Darin umgaben Scheiben verschiedener Größe eine deutlich größere in der Mitte, wie Monde, die um einen Planeten kreisen. Sie sah, dass die Scheiben aus verschiedenfarbigem Marmor bestanden – rot, grün, rosa, grau. Und der Raum zwischen den Ringen wurde von ungleichmäßig geformten Mustern gefüllt – manche geädert, andere gefleckt oder

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