Gottesgericht
Genehmigungen dabei.
Es war ihm nicht klar, was mit dem Reliquienschrein geschehen würde, wenn er ihn ausgehändigt hatte. Er hoffte aufrichtig, es war nicht ein weiteres Beispiel dafür, dass Italien etwas an sich brachte, was eigentlich Österreich gehörte. So wie bei Ötzi, dem Mann aus dem Eis. Der war ihm vorhin in den Sinn gekommen, als er von Villach nach Udine über die Alpen gefahren war.
Inzwischen hatte er Udine hinter sich gelassen und war auf dem Weg in Richtung Venedig. Nicht dass er dorthin wollte. Er sah auf seinem Navigationsgerät nach, wie weit es noch bis zu seinem Zielort war. Er hatte erst ein Drittel der rund dreizehnhundert Kilometer weiten Fahrt zurückgelegt.
Als Kurator von Hunderten von Sakralgegenständen, die selten wenn überhaupt ausgestellt wurden, geriet er nicht sehr oft ins Rampenlicht. Und das hier war auch kein Job, der ihm irgendeinen Profit einbringen würde. Aber in vielerlei Hinsicht genoss er das Mysterium darum. Zu einer heimlichen Unternehmung zu gehören, die er vor seinen Kollegen, selbst vor seiner Familie verborgen halten musste.
Der Direktor hatte ihn vor etwas mehr als einer Woche zu sich in sein Büro gerufen, und nachdem er ihn aufgefordert hatte, Platz zu nehmen, begann er in allgemeiner Form über die ständig größer werdende Sammlung veralteter Kuriositäten in Grubers Reliquienschrein-Abteilung zu sprechen. Erst dachte Gruber, der Direktor wolle ihm mitteilen, dass man sich aufgrund von Mittelkürzungen von ihr trennen müsse. Er wusste, dass es ein Unternehmen in den Niederlanden gab, das darauf spezialisiert war, Kircheneinrichtungen, einschließlich Reliquienschreine – und sogar die Reliquien selbst – zu kaufen und über das Internet weltweit zu veräußern. War es ihr Schicksal, dort zu enden? Und konnte es den Verlust seines Arbeitsplatzes bedeuten?
Er musste zugeben, dass das Museum Katholischer Antiquitäten ein gewisser Sonderfall war. Im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils hatten sich Kirchen im nördlichen Europa zuhauf von dem ganzen Drum und Dran eines sentimentalen, manche würden sagen, abergläubischen Glaubens frei gemacht, wie er seit dem Mittelalter geherrscht hatte. Und so bekamen die Besucher des Museums Devotionalien aus Vorkonzilszeit in einer säkularen Museumsumgebung zu sehen, ihres eigentlichen Zwecks beraubt. Was bedeutete, dass die ausgestellten Objekte, einschließlich der Reliquienschreine, hauptsächlich von ästhetischem Interesse waren – und nicht unbedingt Publikumsmagnete. Anders im südlichen Europa, wo ein konservierter Leichnam oder eine Wunder wirkende Reliquie in der herkömmlichen Umgebung einer Kirche noch immer einheimische Gläubige und staunende Touristen in großer Zahl anziehen konnte.
Von den vielen aussortierten Schreinen, die aus Österreich und Deutschland in dem Museum gelandet waren, wurden nur einige ausgestellt, während die überwältigende Mehrheit in einem Labyrinth von Lagerräumen im Untergeschoss aufbewahrt wurde. Sie standen in Regalen, hingen an Wänden, lagen in Glasvitrinen oder vergammelten in Schubladen. Es gab sie in Form von Statuen, Büsten, Köpfen, Torsi, Armen, Beinen, Füßen, Fingern, Herzen, sie nahmen die Gestalt von Särgen, Kreuzen, Anhängern, Phiolen, Fläschchen, Urnen, Triptychons, Sarkophagen oder sogar Miniaturkirchen an. Sie konnten aus Elfenbein, Holz, Gold, Silber, Messing, Glas, Marmor, Felskristall sein und eingelegt mit Email oder mit Perlen und Edelsteinen besetzt.
Und doch waren sie nur die Behälter. Ihren ganzen Sinn bezogen Reliquienschreine aus ihrem Inhalt – den Bruchstücken von Menschen, die als heilig verehrt wurden, ihren abgetrennten Körperteilen und gesammelten Auswüchsen. Knochenstücke, abgeschnittene Fingernägel, Dornen aus der Dornenkrone, Stofffetzen, Haarschnipsel, Nägel und Holzsplitter aus dem Kreuz Jesu, geronnenes Blut und Milch. Manche Reliquien waren leicht zu sehen oder zu entfernen, andere waren auf Dauer in ihren Behältern verschlossen. Manche Schreine sollten die Reliquie sichtbar machen, aber viele waren undurchsichtige Gefäße, die ein winziges Stückchen von den sterblichen Resten oder den Besitztümern des Heiligen in Seidenstreifen eingewickelt enthielten. Und dann gab es noch die Unterscheidung zwischen Klassen von Reliquien, von den angeblich echten Knochen eines Heiligen bis hin zu den bescheidenen Gegenständen, die lediglich mit ihm in Kontakt gekommen waren. Das Museum enthielt nur Reliquien der ersten
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