Gottesgericht
wie eine Scheidung betrachteten. Und ihr Rat lautete unabänderlich, dass es am besten sei, sich einfach wieder mitten ins Leben zu stürzen. Eine Frau hatte auf einer Dinnerparty sogar gesagt, eine anständige Nummer sei genau das, was sie brauche. Aber wenn man seinen Partner verliert, ist das Fehlen von Sex nicht die Hauptsache. Wenn man einfach nur eine Nummer schieben wollte, könnte man natürlich mit irgendwem ins Bett gehen. Aber das macht einen nicht an, weil man um diesen Teil seiner Beziehung ebenfalls trauert, und es dauert seine Zeit. Wenn Witwen früher Schwarz trugen, signalisierten sie ihren zeitweiligen Rückzug von der Welt, und es verschaffte ihnen Zeit und Raum, angemessen zu trauern. Heutzutage schien niemand mehr zu wissen, wie man gerade mit einer jungen Witwe umgehen sollte. Und sie ihrerseits hatte keine Möglichkeit zu signalisieren, dass sie sich zwar einen großen Teil ihrer Zeit leer fühlte, aber nicht den Drang verspürte, diese Leere zu füllen.
Dann wurde Jane schlagartig bewusst, dass sie in ihrem Fall die Leere in sich sehr wohl zu füllen versuchte. Und sie machte es mit Alkohol. Aber auch wenn ihr abendlicher Abstieg in eine traumlose Bewusstlosigkeit den Schmerz über Bens Fortgang betäubte, würde der Alkohol von ihr Besitz ergreifen, wenn das so weiterging. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel. Warum die Gelegenheit des Gartenfests nicht als ersten Schritt dazu benutzen, sich wieder in die Gewalt zu bekommen?
Die Party war in vollem Gange, als Jane eintraf. Nicht dass man übermäßig beschwingt gewesen wäre – es ging alles sehr höflich und gesittet zu. Aber es war der Zeitpunkt mit der höchsten Besucherzahl, die Sonne schien, und Lachen und Gespräche schwirrten durch das ganze Haus und den Garten. Kellner trugen Tabletts mit Sekt und Kanapees umher, und Jane, die den Schauplatz beobachtete wie der sprichwörtliche Besucher vom Mars, spazierte an Gruppen von Leuten vorbei, die sich so angeregt unterhielten, als hätten sie sich zu einem bedeutenden Zweck dort versammelt. Es erinnerte sie an bestimmte Szenen aus Tierdokumentationen, nur mit schnatternden Herden von Menschen anstelle von Flamingos oder Pinguinen.
Auf ihrem Weg durch die Menge stieß sie mit ihrem Mineralwasserglas mit Leuten an, die sie gut kannte, oder nickte flüchtigeren Bekanntschaften nur zu. Von der üblichen Brise, die Jane mit dem Leben in der Gegend verband, war kaum etwas zu spüren, deshalb war es angenehm, auf dem Rasen herumzuspazieren. Schließlich begegnete sie Ali und Laura, die mit ihren Partnern auf dem Weg zum großen Zelt waren. Nachdem sie sich begrüßt hatten, setzten sie ihren Weg gemeinsam fort, und Ali erklärte, dass Joe Brady nicht kommen werde, da er erkältet sei.
»Ja, da geht etwas herum«, sagte Jane. »Meine Schwägerin hat es ebenfalls.«
In dem beheizten Zelt stellten sie sich in einer kurzen Schlange beim Buffet an. Jane sah eine prächtige Auswahl an Tulpen auf allen Tischen stehen, keine zwei schienen in Farbe oder Art gleich zu sein.
»Die sind wirklich schön, nicht?«, sagte sie und wies mit einem Nicken zu den Tischen.
Die anderen wandten sich zu den Arrangements um und stimmten ihr zu.
»Die Tulpe ist unsere Nationalblume, wie Sie alle wissen«, ertönte eine Stimme hinter ihnen. Es war Demir Orhuns. »In der Türkei trägt sie einen Mädchennamen. Lale.«
»Hübscher Name«, sagte Ali.
»Klingt jedenfalls besser als ›Tulpe‹, so viel steht fest«, scherzte einer der Männer.
»Ich bin Ihnen nur hier herein gefolgt, um Sie zu begrüßen«, sagte Orhun. »Und wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.«
Jane fand, dass er in seinem bonbonfarben gestreiften Jackett und dem am Kragen offenen weißen Hemd gut aussah. Er hatte sich die Idee einer Gartenparty zu Herzen genommen. Sie kam sich sogar ein wenig unelegant vor. Die Schlange bewegte sich weiter, und Orhun nahm es zum Anlass, das Zelt zu verlassen. Aber wie alle Journalisten hatte Ali die Zeitungen gelesen und die morgendlichen Interviews im Radio gehört, deshalb ergriff sie die Gelegenheit. »Bevor Sie gehen, Demir – können Sie den Aufenthaltsort der Bande bestätigen, die diesen ganzen Ärger zwischen Israel und Ihrem Land verursacht hat? Sind sie auf Athos?«
Jane und die anderen sahen Orhun erwartungsvoll an.
»Ich denke, diese Frage sollten Sie jemandem von der griechischen Botschaft stellen«, sagte er. »Aber meine persönliche Meinung ist, dass sie nicht auf Athos
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