Gottesgericht
löschte und absperrte. Er schloss die Tür, seufzte tief und setzte sich kurz auf einen Polsterstuhl im Flur.
Er hatte bei der Versammlung nichts von seinem Verdacht erwähnt. Und er fühlte sich schuldbewusst, weil er ihn überhaupt hatte. Wobei es nicht einmal ein richtiger Verdacht war. Aber im Laufe seines letzten Gesprächs mit Kamarda, an dem Tag, an dem sie in die Krypta hinuntergegangen waren, hatte der Priester von einem Kunsthändler gesprochen, der mit Enzo Bua Kontakt aufgenommen und gefragt hatte, ob die Ikone zu verkaufen sei. Es war von Briefen die Rede gewesen, und Giuseppe fragte sich, ob Kamarda sie zufällig in Besitz genommen hatte. Als Folge davon konnte er durchaus zu einer seiner Einkaufsfahrten nach Neapel aufgebrochen sein, mit der Absicht, bei dem Händler vorbeizuschauen, wenn er schon einmal dort war, und die Ikone schätzen zu lassen. Da die Familie Bua ausgelöscht war, gab es sehr wohl Argumente für einen Verkauf der Ikone. Und Kamardas Motive dafür waren wahrscheinlich absolut einwandfrei – etwa, weil er Mittel für das Einkehrzentrum erlösen wollte. Andererseits stellte sich Giuseppe vor, dass eine solche Entscheidung nur nach Rücksprache mit den Bewohnern des Dorfs und mit Zustimmung des Bischofs der Diözese getroffen werden konnte. Und vielleicht hatte Kamarda ja noch die Absicht, beides nachzuholen.
Aber niemandem etwas zu sagen. Das war merkwürdig.
Er stand auf und ging zu Pfarrer Kamardas Arbeitszimmer. Er probierte einen Schlüssel aus, der ihm wahrscheinlich vorkam, doch ohne Erfolg. Ein ähnlicher passte jedoch und öffnete die Tür zu einem kleinen Raum, der fast gänzlich von einem Schreibtisch und Büroausstattung ausgefüllt wurde. Giuseppe machte Licht und sah, dass der Raum frisch aufgeräumt und abgestaubt wirkte; offenbar hatte die Haushälterin die günstige Gelegenheit genutzt. Er hoffte, irgendetwas würde ihm auffallen und ihm ersparen, in den persönlichen Unterlagen des Pfarrers herumzuwühlen. Doch dem war leider nicht so.
Auf einem Stapel Plastikablagen auf dem Schreibtisch lag die Post, die in den vergangenen beiden Tagen eingetroffen war. Giuseppe blätterte sie durch, aber es war nichts aus Neapel dabei. In dem Fach darunter lagen mehrere Briefe – lauter Rechnungen oder Mahnungen. Er sah sich im Zimmer um. Ein Drucker-Kopierer stand in rechtem Winkel zum Schreibtisch unmittelbar neben diesem. Eine ähnlich große Lücke dahinter wurde von einem Aktenschrank gefüllt. Er war versucht, in das Schränkchen zu schauen, aber inzwischen war ihm sehr unwohl in seiner Haut, und er fand, er war genug in die Privatsphäre des Mannes eingedrungen.
Ein letzter kurzer Blick hinter den Schreibtisch, wo ein leerer Papierkorb stand. Doch dann fiel ihm etwas auf – ein Fetzen weißes Papier, nicht größer als eine Briefmarke, der sich im Geflecht des Korbs verfangen hatte. Er bückte sich und pflückte ihn heraus.
Der Größe und Form nach stammte er von einer Seite, die gefaltet, in kleine Stücke gerissen und in den Papierkorb geworfen worden war. Eine Seite war leer, aber als er den Schnipsel umdrehte, sah er ein winziges Teil von etwas, das wie ein Briefkopf aussah, mit Bruchstücken von zwei Worten darauf:
te Ant
Nicht eben viel, um darauf aufzubauen, aber er steckte das Stückchen Papier dennoch in die Brusttasche seines Hemds.
Giuseppe schloss das Büro ab, ging den Flur entlang und löschte die übrigen Lichter im Haus. Jetzt blieb ihm nur noch eins zu tun, aber er schreckte schon bei dem Gedanken zurück. Die Haushälterin fungierte zugleich als Mesnerin, und die Schlüssel zur Kirche hingen an dem großen Schlüsselring, den sie dem Ausschuss überlassen hatte. Giuseppe konnte seine Neugier befriedigen und hoffentlich seinen Verdacht ausräumen, indem er kurz in der Kirche vorbeischaute. Es war nur ein kurzes Stück zu gehen.
Er verließ das Haus und ging durch die schlecht beleuchteten Seitengassen des Dorfs, bis er zur Piazza kam. Nachdem er nach links und rechts geschaut und niemanden in der Nähe gesehen hatte, stieg er die Stufen zur Kirche hinauf. Einer der Schlüssel hatte einen Anhänger mit einem Bild des Petersdoms darauf; das musste der sein, der die Kirche sperrte. Als er ihn ausprobierte, stieß er mit dem Fuß an eine Plastikflasche voll Wasser. Er blickte nach unten und sah eine Reihe davon im Licht einer nahen Straßenlampe glänzen. Pfarrer Kamarda hatte ihm den Grund, warum sie da waren, dargelegt, aber daran mochte Giuseppe
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