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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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der Thermoskanne saß eine dicke Schicht Kaffeesatz. Als er sie unter fließendem Wasser ausspülte, konnte er nicht richtig verstehen, was Sigmund sagte. »Das hab ich nicht ganz mitgekriegt«, murmelte er und klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter.
    »Wir haben die Frau auf dem Bild gefunden«, sagte Sigmund.
    Der Kaffeeduft vom Kaffeepulver schien Yngvar plötzlich hellwach werden zu lassen. »Was hast du gesagt?«
    »Die Polizei in Bergen hat die Frau auf deinem Foto gefunden. Vermutlich bedeutet das nicht so viel, wie du dir in den Kopf gesetzt hast, aber du warst so versessen darauf und …«
    »Wie haben sie sie gefunden?«, fiel Yngvar ihm ins Wort. »Und in so kurzer Zeit?«
    »Jemand von denen in Bergen hat sie erkannt. Da haben wir Datenbanken und internationale Zusammenarbeit und den Teufel und seine Großmutter, aber dann ist die altmodische Methode …«
    »Wer weiß es?«, fragte Yngvar.
    »Was denn?«
    »Dass wir sie gefunden haben, zum Henker!«
    »Zwei von den Kollegen in Bergen, nehme ich an. »Und ich natürlich. Und jetzt du.«
    »Dabei soll es auch bleiben«, rief Yngvar. »Um Himmels willen. Niemand auf der Wache darf davon erfahren. Und auch niemand bei der Kripo. Ruf deinen Mann in Bergen an und sag, er soll die Klappe halten.«
    »Das ist übrigens eine Frau. Du hast so viele Vorurteile, dass ich …«
    »Scheiß drauf. Ich will nur nicht, dass es in die Zeitungen kommt. Okay?«
    Das Wasser kochte. Yngvar maß vier Löffel Kaffee ab, zögerte und gab einen fünften dazu. Goss heißes Wasser darüber und ging in Richtung Wohnzimmer. »Wer ist diese Frau nun eigentlich?«, frage er leise.
    »Sie heißt …«
    Yngvar hörte Papier rascheln. »Martine Brække«, sagte Sigmund. »Sie heißt Martine Brække und lebt in Bergen.«
    Yngvar blieb mitten im Wohnzimmer stehen. Die fast leere Weinflasche vom Vorabend stand noch auf dem Tisch. Die Zeitung mit Inger Johannes Kritzeleien lag auf dem Boden neben der Schüssel mit den Kartoffelchips. Diese war umgekippt.
    »Wie alt ist sie?«, fragte er und merkte, dass sein Puls sich beschleunigte.
    »Das weiß ich nicht«, sagte Sigmund. »Doch, ja. 1947 geboren steht hier. Sie wohnt in …«
    »Zweiundsechzig Jahre also. Inger Johanne hatte recht. Inger Johanne kann verdammt noch mal recht haben.«
    »Womit denn?«
    »Ich muss nach Bergen«, sagte Yngvar. »Kommst du mit?«
    »Jetzt? Heute?«
    »So schnell wie überhaupt möglich. Hol mich ab, Sigmund, jetzt sofort. Wir müssen nach Bergen.«
    Ehe Sigmund antworten konnte, hatte Yngvar das Gespräch beendet. Er schaffte es zu duschen, sich anzuziehen und eine Tasse dynamitstarken Kaffee zu trinken, ohne Inger Johanne oder die Kinder zu wecken. Als Sigmund brav im Hauges vei vorfuhr, wartete Yngvar schon vor der Tür.
    Es war inzwischen Samstag, der 17. Januar, und er stand dort ganz ohne Gepäck.
    Der Mann, der vor neunundzwanzig Tagen in der Stortingsgata in Oslo ein kleines Mädchen vor der Straßenbahn gerettet hatte, trank aus einem Glas mit hohem Stiel Mineralwasser und überlegte, ob sein Gepäck wohl im Flugzeug war. Er war spät dran gewesen. Jetzt saß er an Bord des British-Airways- Flugs BA 0117 von Heathrow zum JFK Airport in New York und war einer von nur drei Fluggästen in der ersten Klasse. Während die anderen schon ihr zweites Glas Champagner leerten, lehnte er höflich ab, als die Stewardess ihm Wasser nachschenken wollte.
    Er genoss die breiten Sitze und die Ruhe im vordersten Teil des Flugzeugs. Der Vorhang, der sie von den übrigen Fluggästen trennte, verwandelte den Lärm hinten in ein leises Gemurmel, das ihn, zusammen mit dem gleichmäßigen Motorenrauschen, schläfrig machte.
    Diesen letzten Teil der Heimreise hatte er unter seinem richtigen Namen angetreten. Seit dem 11. September ließen die extremen Sicherheitsmaßnahmen im Flugverkehr innerhalb der USA und bei den Grenzkontrollen eine Reise mit falschen Papieren als riskant erscheinen. Da er den Flug nicht im Voraus gebucht hatte und außer der ersten Klasse nichts mehr frei gewesen war, musste er für den Einwegflug über 7000 Dollar hinblättern. Aber darauf kam es jetzt nicht an. Er wollte nach Hause, musste nach Hause, und er reiste unter seinem richtigen Namen: Richard Anthony Forrester.
    Während seines Aufenthalts in Norwegen hatte er kein einziges Mal in den USA angerufen. Die National Security Agency, die NSA, überwachte jeden elektronischen Verkehr mit anderen Ländern, und es wäre unnötig

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