Gotteszahl
Besuch jedoch verschwunden war. Als er von Lukas’ Dachpartie im Januarregen erzählte, musste er lachen. Am Ende nahm er das Bild wieder und legte es sich aufs Knie. »Lukas dachte, es sei eine verschwundene Schwester«, sagte er. »Aber du siehst der Bildqualität und den Kleidern an, dass es wohl kaum um 1980 aufgenommen worden sein kann. Und die Frisur stammt ja wohl auch nicht aus den Achtzigerjahren.«
»Was glaubst du?«, fragte Inger Johanne, ohne den Blick von dem Bild zu nehmen.
»Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht keine Schwester von Lukas ist, sondern eine unbekannte Tante. Eine uneheliche Schwester von Eva Karin. Das würde erklären, warum sie Lukas ähnlich sieht.«
»Tut sie das? Ich finde, sie sieht Lill Lindfors ähnlich.«
Yngvar lächelte breit. » Da bist du nicht die Einzige. Jedenfalls werden wir bald wissen, wer es ist. Die Polizei in Bergen und die Kripo arbeiten daran. Wenn die Frau noch lebt, werden wir innerhalb weniger Tage wissen, wer sie ist. Vielleicht auch früher.«
»Und was soll uns das nutzen?«
»Was denn? Dass wir wissen, wer sie ist?«
»Ja. Wieso nimmst du an, dass sie überhaupt etwas mit dem Fall zu tun hat?«
»Das tu ich doch nicht«, sagte Yngvar verdutzt. »Aber du musst zugeben, dass es seltsam ist, dass Erik Lysgaard das Bild bei der ersten Gelegenheit entfernt hat.«
»Hast du ihn gefragt?«
»Nein … Ich möchte den Vorteil bewahren, dass er nicht einmal weiß, dass mir das Bild aufgefallen ist.«
Unten waren sie jetzt bei »Knowing me, knowing you« angekommen. Jemand hatte endlich leiser gedreht, aber noch immer hämmerte der Bass durch den Boden.
Inger Johanne nahm noch einmal das Foto. »Überaus spannendes Gesicht«, murmelte sie. »Stark, irgendwie.«
Er beugte sich vor und schnappte sich eine Handvoll Kartoffelchips. Bisher hatte er der Versuchung widerstehen können. »Kannst du die Schüssel wegnehmen«, murmelte er, während er die knusprigen Chips zermalmte. »Kartoffelchips sind Teufelswerk.«
Statt ihm den Gefallen zu tun, stand sie auf und lief mit dem Bild in der linken Hand durchs Zimmer. »Yngvar«, sagte sie fast abwesend. »Der Mord an Eva Karin ist anders als die anderen, was die Herangehensweise angeht. Was ist sonst noch anders?«
»Als was?«
»Die Bischöfin ist die einzige öffentlich bekannte Persönlichkeit unter den Opfern. Sie wurde auf spektakulärere Weise umgebracht als die anderen. Was unterscheidet diesen Fall von den anderen?«
»Ich … ich weiß nicht recht.«
»Es besteht Grund zu der Annahme, dass die anderen homosexuell waren. Dass sie zumindest eine direkte Verbindung zu einem homosexuellen Lebensstil hatten.«
Yngvar kaute jetzt nicht mehr. Die Kartoffelchips kamen ihm plötzlich wie eine unappetitliche klebrige Kalorienbombe vor. Er nahm eine Serviette vom Tisch, spuckte die widerliche Masse hinein und versuchte, sie in die Serviette zu wickeln. Etwas fiel auf den Boden, und er bückte sich beschämt, um es aufzuheben.
Inger Johanne hatte offenbar nichts davon bemerkt. Sie stand am Fenster und kehrte ihm den Rücken zu, lange, dann drehte sie sich um und ließ die Hand mit dem Foto sinken. »Eva Karin ist die einzige Heterosexuelle«, sagte sie. »Jedenfalls die Einzige, die so wirkt.«
»Wie meinst du das … dass sie so wirkt?«
»Das«, sagte Inger Johanne und hielt ihm das Bild hin. »Das ist weder die Schwester von Lukas noch die von Eva Karin. Das ist die Geliebte der Bischöfin.«
Das Haus wurde still. Unten sah niemand mehr einen Film. Der Wind hatte sich gelegt, nicht einmal die Bodenbretter knackten, als sie zum Sofa zurückging und vorsichtig, wie um nicht aus einer komplizierten Gedankenreihe herauszufallen, wieder neben ihm Platz nahm.
»Das ist nicht möglich«, sagte Yngvar endlich. »Wir haben nicht das kleinste Gerücht gehört. So was kommt raus, Inger Johanne. Über solche Dinge wird gesprochen. Es ist nicht möglich, dass …«
Er riss das Bild an sich, etwas heftiger als gewollt. »Warum hat sie dann solche Ähnlichkeit mit Lukas?«
»Purer Zufall. Du, und sicher auch Lukas, ihr habt euch das Bild auf der Jagd nach irgendeinem Schlüssel so genau angesehen, dass euch sogar eine vage Ähnlichkeit aufgefallen wäre. Das kommt vor. Es gibt manchmal Ähnlichkeiten. Du zum Beispiel hast große Ähnlichkeit mit …«
»Aber wenn nicht einmal wir auf den Gedanken gekommen sind, dass Eva Karin ein Doppelleben geführt hat, wieso wissen die › 25er ‹ das dann? Wenn du
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