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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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leidenschaftlich über die Ehe ihrer Eltern sprechen, wenn ich ganz lose die Tatsache erwähne, dass alle Menschen Erfahrungen haben, die sie mit anderen nicht teilen wollen. Dinge, die sie getan haben. Dinge, die sie nicht getan haben. Vielleicht etwas, wodurch sie sich Feinde zugezogen haben. Etwas, das anderen geschadet hat. Das muss natürlich nicht bedeuten, dass …«
    Er ließ den Satz in der Luft hängen.
    »Meine Mutter hatte keine Feinde«, sagte Lukas und versuchte sich zusammenzureißen. »Meine Mutter wurde doch ganz im Gegenteil als Vermittlerin betrachtet, als Sprachrohr der Versöhnung. Und zwar im Amt und im Privatleben. Sie hat mir gegenüber nie erwähnt, dass jemand es auf ihr Leben abgesehen haben könnte. Das ist doch …«
    Er schluckte und fuhr sich mehrmals mit den Fingern durch die Haare. »Was meinen Vater angeht, da …«
    Er holte tief Luft, es klang wie ein Keuchen. »Vater hat immer in Mutters Schatten gestanden.«
    Plötzlich machte er einen resignierten Eindruck. Und schien ein Selbstgespräch zu führen. »Das liegt doch auf der Hand. Mutter mit ihrer Karriere, und Vater, der nie über das erste Staatsexamen hinausgekommen ist. Er wollte wohl nicht …«
    Wieder verstummte er.
    »Wie haben sie einander kennengelernt?«, fragte Yngvar ruhig.
    »Auf dem Gymnasium. Sie waren in derselben Klasse.«
    »Highschool sweethearts« , sagte Yngvar und lächelte kurz.
    »Ja. Mutter hat mit sechzehn zum Glauben gefunden. Sie kam aus einer ganz normalen Arbeiterfamilie. Mein Großvater hat bei BMV gearbeitet.«
    »In Deutschland?«
    Yngvar schaute überrascht in den Ordner, der vor ihm lag.
    »Nein, BMV, nicht BMW. Bergen Mekaniske Verksted. Er war Mitglied der NKP und eingeschworener Atheist. Mutter war die Allererste in ihrer Familie, die aufs Gymnasium gehen konnte. Es war für meinen Großvater sehr schwer, mit ansehen zu müssen, wie seine Tochter Theologie studierte, aber zugleich war er unendlich … stolz auf sie. Er hat leider nicht lange genug gelebt, um sie als Bischöfin zu erleben. Das wäre …«
    Er zuckte mit den Schultern. »Mein Vater dagegen kommt aus einem durch und durch akademischen Milieu. Mein Großvater väterlicherseits war Geschichtsprofessor, zuerst an der Universität Oslo. Als mein Vater vielleicht zehn war, sind sie nach Bergen gezogen. Großmutter war Studienrätin. Es war damals nicht üblich für Frauen, dass sie …«
    Wieder unterbrach er sich. »Sie wissen schon«, fügte er dann am Ende hinzu.
    Yngvar wartete.
    »Mein Vater wurde wohl in vieler Hinsicht als … Wie soll ich sagen? Als Schwächling betrachtet.«
    Er schluchzte, als er dieses Wort aussprach, und wieder strömten ihm die Tränen übers Gesicht. »Aber das ist er überhaupt nicht. Er ist ein phantastischer Vater. Klug und belesen. Überaus fürsorglich. Aber er hat es nie geschafft … alles zu tun … so zu werden wie … Wissen Sie, seine Eltern hatten große Hoffnung in ihn gesetzt. Haben viel von ihm erwartet. Vater neigt eher zum Grübeln, als das bei Mutter der Fall war. Religiös gesehen ist er … strenger, in gewisser Hinsicht. Er ist stark vom Katholizismus fasziniert. Ohne Mutters Position und Haltung wäre er vermutlich längst konvertiert. Im Herbst war Mutter auf einem ökumenischen Kongress in Boston, und er hat sie begleitet. Da hat er jede einzelne katholische Kirche in der Stadt besucht.«
    Lukas zögerte für einen Moment. »Er ist auch strenger zu sich selbst, als Mutter das war. Er ist wohl nie darüber hinweggekommen, dass er seine Eltern enttäuscht hat. Er war Einzelkind, wissen Sie.«
    Letzteres fügte er mit einer Miene hinzu, als ob damit alles erklärt wäre.
    »Das sind Sie auch, wie ich sehe.«
    Yngvar schaute wieder in seine Papiere, drehte den Notizblock um und kritzelte rasch einige Sätze.
    »Ja.«
    »Sie sind … neunundzwanzig Jahre alt?«
    Yngvar staunte, als er das Geburtsdatum in seinen Unterlagen sah. Am Vortag hatte er den Sohn der Bischöfin auf Mitte dreißig geschätzt.
    »Ja.«
    »Ihre Eltern waren bei Ihrer Geburt also seit vierzehn Jahren verheiratet.«
    »Sie haben lange studiert. Meine Mutter jedenfalls.«
    »Und weitere Kinder haben sie nicht bekommen?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    Das säuerliche Misstrauen war wieder da.
    Yngvar lächelte entwaffnend und fragte rasch: »Wenn Sie sagen, dass Ihre Eltern einander unendlich geliebt haben, wie erklären Sie sich das?«
    Jetzt sah der Mann ehrlich überrascht aus. »Wie ich … Wie

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