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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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damals gesagt, sie glaube ihm und alles werde gut.
    Nichts war jemals gut geworden, und er glaubte schon lange nicht mehr den Scheiß, den sie ihm erzählten.
    »Wenn ich es richtig verstanden habe, bist du vor drei Tagen festgenommen worden«, sagte Silje Sørensen. »Wegen des Besitzes von dreieinhalb Gramm Hasch, wie hier steht. Das geht mir, ganz ehrlich gesagt, dort vorbei, wo der Rücken nicht mehr Rücken heißt. Ich interessiere mich auch nicht sonderlich für deine Karriere als Stricher. Mich interessiert das hier …«
    Sie nahm den Zettel, den Knut Bork aus seinem Ordner gezogen hatte. »Ein Festnahmeprotokoll vom 21. November vergangenen Jahres.«
    »Hä? Wühlt ihr jetzt auch schon in dem uralten Kram rum?«
    Martin rutschte auf seinem Stuhl hin und her.
    »Das ist anderthalb Monate her, Martin. Hier bei der Polizei ist das kein uralter Kram. Aber ich interessiere mich auch in diesem Zusammenhang eigentlich nicht so sehr für dich.«
    Der Junge beugte sich jetzt vor und stieß seine Tabakdose auf dem Tisch herum wie einen Eishockeypuck.
    »Sondern Hawre. Hawre Ghani. Den kennst du doch, oder?«
    Der Ersatzpuck gewann zwischen Martins Händen an Tempo.
    »Na los, Martin. Ihr wurdet zusammen festgenommen. Aus dem Bericht hier geht deutlich hervor, dass ihr euch gekannt habt. Ich will doch nur …«
    »Hab Hawre seid ner Ewigkeit nicht mehr gesehen«, sagte der Junge sauer.
    »Nein, das glaube ich dir. Wirklich.«
    »Weiß nix über Hawre«, murmelte Martin.
    »Wart ihr befreundet?«
    Der Junge schnitt eine Grimasse.
    »Bedeutet das Ja oder Nein?«
    »Ist ja wohl nicht gerade leicht, Freunde zu kriegen, wenn man so lebt wie ich. Darf ja nie mehr als ein paar Wochen irgendwo wohnen!«
    »Du bist es doch, der abhaut«, unterbrach ihn die Frau vom Jugendamt. »Ich verstehe ja, dass das alles sehr schwer für dich ist, aber es ist wirklich nicht leicht …«
    »Darüber können Sie später noch sprechen«, schaltete Silje Sørensen sich ein. »Ich muss dich das eigentlich noch einmal fragen, Martin. Hast du Hawre gut gekannt?«
    Martin wandte sich wortlos wieder seinem Tischhockey zu.
    »Du wirst rot. Wart ihr ein Paar?«
    »Hä?«
    Die Wunde in seiner Nase blutete jetzt. Ein dünner roter Streifen zog sich im Zickzack über die gelbe Kruste, die sich vom linken Nasenloch bis zur Lippe erstreckte.
    »Ich und … Hawre? Hawre ist ja nicht mal richtig schwul! Der braucht nur die Kohle.«
    »Aber du bist das?«
    »Was denn?«
    »Schwul.«
    »Verdammt, danach darfst du gar nicht fragen.«
    Im Hinterhof heulte eine Sirene auf. Zwei Elstern saßen auf der Fensterbank und starrten aus kohlschwarzen Augen ins Zimmer, ohne sich von dem Lärm beeinflussen zu lassen.
    Martin kniff die Lider zusammen, und endlich kamen seine Hände zur Ruhe. »Aber wo du schon fragst, die Antwort ist Ja. Und da brauch ich mich ja wohl nicht zu schämen.«
    Sein ganzer dünner Körper strahlte Trotz aus, und jetzt war er es, der ihren Blick nicht loslassen wollte.
    »Da bin ich ganz deiner Ansicht«, sagte Silje.
    Wenn der Junge zehn Kilo schwerer und wenn die Wunde in seinem Gesicht verheilt gewesen wäre, hätte er vielleicht hübsch sein können. Leider waren seine Zähne ruiniert, was bei norwegischen Kindern im Jahre 2009 nur selten vorkam. Wenn er redete, konnte sie grauen Zahnbelag sehen, der zwei verrottete Füllungen in den Vorderzähnen doch nicht verdecken konnte. Aber seine Augen waren groß und blau, und die langen Wimpern bogen sich wie bei einem kleinen Kind.
    »Können die nicht alle gehen?«, fragte er bittend.
    »Wer denn?«
    Martin zeigte auf die Sozialarbeiterin und den Polizisten.
    »Ich kann das Zimmer gern verlassen«, sagte Knut Bork. »Aber Frau Solli muss bleiben. Wir dürfen dich nicht vernehmen, wenn kein Vormund anwesend ist.«
    Ohne weitere Diskussion erhob er sich. Er legte seinen Ordner neben das erste Blatt vor Silje Sørensen und schob den Stuhl zurück unter den Tisch.
    »Ruf mich an, wenn ihr fertig seid«, sagte er. »Ich bin im Büro.«
    Als die Tür hinter ihm zufiel, starrte Martin Andrea Solli verärgert an. »Ich brauche keinen Vormund«, sagte er. »Du kannst auch gehen.«
    Silje kam der Frau vom Jugendamt zuvor. »Kommt nicht infrage«, erklärte sie energisch. »Vergiss es. Erzähl mir lieber von dir und Hawre.«
    Martin leckte sich jetzt die Wunde. Das Blut aus seiner Nase wurde hellrot, als es sich mit Spucke vermischte, und plötzlich ging ein großes Stück der Kruste ab. »Scheiße«,

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