Gotteszahl
Dennoch hatte er immer dieses seltsame Unbehagen, wenn er in den langen, engen Gängen mit den vielen Türen untertauchen musste, die zu Kammern voller Dinge führten, die er kannte, aber oft nicht verstand.
Als der Gang nach links abbog, wurde der Geruch stärker. Er näherte sich der Belüftungsanlage, die sich in zwei nebeneinanderliegenden Räumen befand. Mit jedem Schritt wuchs sein Unbehagen. Vielleicht hätte er jemanden holen sollen. Edvard war ein netter Junge, der immer mit ihm plauderte, wenn die Zeit das erlaubte.
Aber Edvard war nur Hotelpage. Er selbst war Betriebschef, mit einem Schild auf der Brust und dem Code zu allen Zimmern im ganzen Haus. Es war sein Job, und der Concierge hatte gesagt, er habe eine Stunde, um den Fall zu klären, danach würde die Hotelleitung Profis hinzuziehen.
Als ob er kein Profi wäre!
Obwohl fast alles im Keller alt war, hatte man moderne Scanner angebracht. Fritjof Hansen zog seine Karte durch den Scanner an der ersten Tür und gab mit möglichst ruhiger Hand den Code ein.
Öffnete die Tür.
Der Gestank schlug ihm mit einer Stärke entgegen, die ihn zwang, zwei Schritte zurückzuweichen. Er hielt sich die Hand über die Nase, dann ging er zögernd wieder vorwärts.
Er blieb in der Türöffnung der dunklen Kammer stehen. Seine freie Hand suchte nach dem Lichtschalter. Als er ihn gefunden hatte, wurde er fast geblendet von dem grellen bläulichen Licht, in das die Leuchtröhren den Raum tauchten.
Vier Meter entfernt, halb versteckt hinter einem Gerät, dessen Funktion ihm unbekannt war, konnte er zwei Beine von den Knien abwärts sehen. Es war schwer zu sagen, ob die Beine einer Frau oder einem Mann gehörten.
Fritjof Hansen hatte ein festes Abendritual. Jeden Werktag um fünf nach halb zehn sah er auf TV Norge CSI. Ein Bier, eine kleine Tüte Kartoffelchips und Crime Scene Investigation. Dann kroch er in die Falle. Er mochte die Miami-Version und die New-York-Ausgabe gleichermaßen. Dennoch war Gil Grissom aus der ursprünglichen Serie aus Las Vegas Fritjof Hansens Liebling. Jetzt, wo Grissom durch den Schwarzen ersetzt werden sollte, stand nicht fest, ob er sich die Serie überhaupt noch weiter ansehen wollte.
Grissom war der Beste von allen.
Gil Grissom würde es jedenfalls nicht gefallen, wenn der Betriebschef eines respektablen Hotels an einem Tatort herumtrampelte und die mikroskopisch kleinen Beweise zerstörte, die es dort vielleicht gab. Fritjof Hansen war sicher, dass er sich hier an einem Tatort befand. Der Mensch dort hinten an der Wand war jedenfalls tot. Er konnte sich gut an eine Episode erinnern, in der Grissom die Tatzeit ermittelt hatte, indem er sich über die Entwicklung der Fliegenlarven in einem Schweinekadaver informiert hatte. Das war schon im Fernsehen übel genug gewesen.
»Mausetot«, murmelte er, um sich selbst zu überzeugen. »Hier stinkt’s nach Tod.«
Langsam zog er sich zurück und schloss die Tür. Er überprüfte an der Klinke, ob das Schloss zugeschnappt war, dann ging er zurück zur Treppe. Ehe er die Ecke erreicht hatte, an der der Gang einen Winkel von neunzig Grad beschrieb, lief er auch schon los.
»Ich habe wirklich mit dem Gedanken gespielt, ihn laufen zu lassen. Aber dann haben wir das Hasch gefunden. Da musste ich länger mit ihm reden, und dabei ist mir der Gedanke gekommen …«
Kommissar Knut Bork reichte Silje Sørensen seinen Bericht, als sie durch die blaue Zone des Polizeigebäudes gingen. Sie nahm ihn und blieb stehen, um ihn zu überfliegen.
Martin Setre hatte sich bei genauerem Hinsehen als fünfzehn Jahre und elf Monate alt erwiesen. Die ersten Jahre seines Lebens hatte er bei seinen biologischen Eltern verbracht. Schon im Kindergarten hatte sich gezeigt, dass er ein Pechvogel war. Dauernd Knochenbrüche. Blaue Flecken. Zwar war der Junge auch im Kindergarten schwer zu bändigen, aber die meisten Verletzungen brachte er von zu Hause mit. Eine ADHD-Diagnose wurde angedeutet, als die Kindergartenleitung um eine Untersuchung des Jungen bat. Ehe es dazu kam, war die Familie umgezogen. Martin kam in einem kleinen Ort in Østfold in die Schule. Nach einem halben Jahr wurde er mit unerklärlichen Magenschmerzen ins Krankenhaus gebracht. Im Frühjahr zog die Familie abermals um, nachdem ein Lehrer unangekündigt bei ihnen aufgetaucht war und den Jungen eingeschlossen in einem Fahrradkeller gefunden hatte. Der Lehrer informierte das Jugendamt, doch ehe der Fall oben im Stapel ankam, war die Familie ein
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