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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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nicht. »Welchen Film wolltet ihr euch denn ansehen?«, fragte sie, dann fügte sie rasch hinzu: »Damit ich das Datum überprüfen kann, meine ich.«
    »Max Manus.«
    Sie lächelte. »Aber Martin. Max Manus hatte erst ganz kurz vor Weihnachten Premiere.«
    »Okay, von mir aus. Ich weiß es nicht mehr. Stimmt wirklich. Ich weiß verdammt noch mal nicht mehr, was wir sehen wollten, wir sind dann ja doch nicht ins Kino gegangen.«
    »Was habt ihr also gemacht?«
    »Wir wollten … also, wir wollten einfach nur Geld beschaffen. Wir sind zum Hauptbahnhof gegangen.«
    Jetzt suchte er wieder ihren Blick, wie zur Bestätigung, dass sie verstanden hatte, was er meinte. Sie nickte vorsichtig. Er deutete das als Ja.
    »Da waren jede Menge Leute. Überall Leute.«
    »Um welche Uhrzeit war das?«
    »Weiß nicht. Nachmittags irgendwann. Jedenfalls war es nicht so spät. Wir wollten doch noch ins Kino. Wir waren an der üblichen Stelle …«
    »Wo ist die?«
    »Eingang vom Jernbanetorg.«
    »Und dann?«
    »Dann kam keiner.«
    »Keiner? Du hast doch gesagt …«
    »Keiner von denen, nach denen wir gesucht haben. Keiner, der …«
    Er spielte an seiner Tabakdose herum. Ihr fiel auf, dass seine Finger ungewöhnlich lang und schlank waren, fast feminin.
    »Dann beschlossen wir, ins City zu gehen. Oslo City. Aber als wir gerade auf die Straße kamen, sprach uns ein Typ auf Englisch an. Oder vielleicht war es eher Amerikanisch. Weiß nicht so recht. Amerikanisch, glaube ich.«
    »Und? Was wollte der?«
    »Das Übliche«, sagte Martin trotzig. »Aber er konnte das irgendwie nicht sagen. Er hat irgendwie nicht normal … unheimlicher Typ. Etwas war nicht richtig an dem.«
    »Was denn?«
    »Weiß nicht so ganz. Ich wollte jedenfalls nicht mit ihm gehen. Der war …«
    Er überlegte so lange, dass Silje eine Frage stellte. »Weißt du noch, wie er ausgesehen hat?«
    »Altes Schwein. Teure Klamotten. Eigentlich ein bisschen fett.«
    »Was verstehst du unter alt?«
    »Mindestens vierzig! Widerlich. Hat gefragt und gebohrt, verstehst du. Ich mag die alten Kerle nicht. Fünfundzwanzig ist in Ordnung.  Aber nicht älter. Hawre brauchte das Geld jedenfalls dringender als ich, deshalb ist er mit dem Typ gegangen.«
    Er starrte in die Colaflasche. »Die Klamotten waren so, dass man sieht, wie reich einer ist. Verstehst du?«
    Silje Sørensen verstand sehr gut. Sie war die reichste Hauptkommissarin im Land, da sie mit achtzehn ein Vermögen geerbt hatte. Das prägte sie jedoch nicht in nennenswertem Maße. Als sie sich an der Polizeischule beworben hatte, wollte sie zuerst einmal mit dem sozialen Abstieg flirten. Jetzt hatte sie sich so daran gewöhnt, dass sie ihre Kleider meistens bei Hennes & Mauritz kaufte. Aber sie wusste sehr gut, was er meinte, und nickte.
    »Und dann?«
    Er schaute auf. Seine Augen machten ihr Angst, die Verzweiflung über den Tod seines Freundes war in pure Apathie umgeschlagen. Er zuckte mit den Schultern und murmelte etwas, was sie nicht verstehen konnte.
    »Was?«
    »Ich kann mich nicht an viel mehr erinnern.«
    »Aber seither hast du Hawre nicht mehr gesehen?«
    Seine Zunge konnte die Wunde nicht in Ruhe lassen. Statt zu antworten, schüttelte er den Kopf.
    Der vorläufige Obduktionsbericht zeigte, dass Hawre Ghani vermutlich zwischen dem 15. und dem 25. November ums Leben gekommen war. Martin Setre hatte Hawre am 24. November gesehen, als der mit einem unbekannten Freier verschwunden war.
    »Du musst mir helfen«, sagte Silje.
    Er blieb noch immer stumm.
    »Ich muss eine Zeichnung von dem Mann machen, mit dem Hawre gegangen ist«, sagte sie. »Kannst du mir dabei helfen?«
    »Okay«, sagte Martin endlich. »Wenn ich vorher was zu essen kriegen kann.«
    »Das lässt sich machen. Was möchtest du denn?«
    Zum ersten Mal huschte die Andeutung eines Lächelns über sein verunstaltetes Gesicht. »Steak mit Zwiebeln und ganz viel Bratkartoffeln«, sagte er. »Ich hab einen Scheißhunger.«
    Yngvar Stubø versuchte, durch Husten das Grummeln in seinem Magen zu übertönen. Erst vor einer Stunde hatte er einen Apfel und eine Banane verspeist, fühlte sich aber bereits wieder hohl. Zu Silvester war er zum ersten Mal seit zwei Jahren auf die Badezimmerwaage gestiegen. Die Zahl, die ihm vom Display her entgegenleuchtete, war dreistellig und hatte ihm Angst gemacht. Da er in seinem ohnehin vollgestopften Zeitplan nicht auch noch Platz für systematisches Training finden konnte, musste er das Essen einschränken. Ganz im

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