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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
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dem Verlauf des zweiten Jahres seines Comebacks, fasste der erklärte »Anti-Synthetiker« 78 in einem Brief an Nele zusammen:
     
Dein Papa – also:
Mitglied der Akademie der Künste in Berlin,
Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Frankfurt a. M.
Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München
Vater von Nele Topsoe
Grossvater von Tine und Vilhelm
Mann von Ilse, der netten, guten
genau so unbürgerlich und leichtsinnig und verrückt wie immer – – 79

XIV

DER FRAU GEHÖRT DIE WELT 1
(1954 – 1955)
     
     
    »Befrage Dein Geschlecht u hör gut zu
    Dann kriegst Du Hunger und die Seele Ruh.«
2
     
     

»Zur Liebe kann man niemanden zwingen«
17
     
     
    Es war Anfang Juni im Jahr 1954. Benn saß bei Sommergewittern wie immer abends in der Kneipe, zusammen mit Ilse, und dichtete:
Melancholie
. 18 Seit Ostern war er mit der 26-jährigen Germanistin Astrid Claes in einen von Seiten der jungen Frau intensiv geführten Briefwechsel verwickelt, der ihm Anlass war, »die feurige u elegante junge Dame« 19 sehen zu wollen.
    Benn erwähnte die 1928 in Leverkusen geborene Tochter des Bürgermeisters Heinrich Claes erstmals im August 1951. 20 Die damals 23-jährige Germanistikstudentin hatte sich entschlossen, ihre geplante Dissertation über »den Einfluß des Horaz auf die deutsche Dichtung des 17. Jahrhunderts mit dem Titel ›Das Motiv des carpe diem in der deutschen Barocklyrik‹« 21 in halb fertigem Zustand ruhen zu lassen, um sich den Gedichten Gottfried Benns zu widmen. Sie hätte ihn gern besucht, bevor sie für ein halbes Jahr nach London ging, aber es wurde nichts daraus. Ein Jahr lang hörte Benn dann nichts mehr von der jungen Studentin, ein Jahr lang »strich [sie] Worte an, notierte Gedanken dazu«. 22 Im Spätherbst 1952 kündigte sie sich erneut an, doch auch zu diesem Besuch kam es nicht. Später glaubte sie, aufklären zu müssen:
     
… einmal war ich schon in Berlin. Aber die Vorstellung, mit Papier und Bleistift vor Ihnen zu sitzen, um als Philologin »Beute zu machen«, beunruhigte mich jedesmal so stark, daß ich mich zuletzt nicht entschließen konnte. 23
     
    Wieder ein Jahr später promovierte sie, und an Heiligabend hielt Benn die Arbeit über seinen lyrischen Sprachstil in Händen. Unmittelbar nach den Feiertagen zeigte er das (allerdings noch ungelesene) Manuskript Gudrun Diem und Günther Wenkums, wie Astrid Claes Germanisten aus Köln, worüber sie, nachdemsie davon erfahren hatte, sehr verärgert war. Zwar versuchte Benn, durch einen freundlichen Brief die Sache zu bereinigen, aber es vergingen vier Monate, bis sie sich Ostern 1954 wieder meldete. Diesmal schickte sie Gedichte von sich mit, was bei Benn eine produktive Stimmung auslöste:
     
    Wer Verse schreiben konnte
    wie ich sie schrieb
    den hatten unbesonnte
    Jahrzehnte lieb
     
    Der hat zwar kaum gegeben
    doch es war nicht Tiefe u Tausch,
    Es war mehr Laster als Leben,
    gesuchter Rausch. 24
     
     
    Gottfried Benns eigentliches Motiv tritt schon in seinem ersten langen Brief vom 17. April 1954 deutlich zutage. »Ein Herr aus Köln, der Sie kennt, sagte mir, Sie seien eine schlanke, elegante attraktive junge Dame – trifft das zu?« 25 Kein Zweifel, Gottfried Benn, dessen spätes artistisches Bekenntnis, Prismatiker zu sein – »auf der Jagd nach Einzelheiten verbringt man sein Leben« 26 –, auch seinem Verhältnis zum weiblichen Geschlecht entspricht, war bereit, sich auf die junge Frau aus Köln näher einzulassen. »Gelegenheiten – das war es … Auftauchen, nur im Akt vorhanden sein und wieder versinken«. 27 Er bat um ein spontanes Treffen 28 oder um Photographien. 29 Er erkundigte sich nach möglichen Berufszielen, 30 schickte Nelken oder seinen Essay
Goethe und die Naturwissenschaften
, 31 der ja schon am Anfang der Briefbekanntschaft mit F. W. Oelze stand. Folgende Wiederholung ist bezeichnend: »Entschuldigen Sie diesen langen Brief. Ich habe in den letzten Jahren keinen so langen Brief geschrieben.« 32 Dieser Satz leitet weder den Briefwechsel mit Astrid Claes noch mit Ursula Ziebarth ein, obwohl er in Abwandlungso dort auch steht, sondern war 1931 an Gertrud Hindemith gerichtet. Die Floskeln sind austauschbar, durch die Jahrzehnte hindurch.
    Schon früh schlug Astrid Claes das zentrale Motiv ihrer Beziehung an:
     
Ein Gedicht – das ist doch etwas so Intimes. … Wie kommt es zu einer solchen Überwindung – denn sie ist wohl notwendig, wo das Leben im Zeichen der

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