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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
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langsam angehen. Der Sommer war mies, es regnete beinahe täglich. Wie die meisten sah er den Sieg der deutschen Fußballer über die Ungarn im Endspiel um die Weltmeisterschaft in Bern. Zur Beruhigung der Nerven löste er Kreuzworträtsel und machte mit Ilse an ihrem Geburtstag, dem ersten Sonnentag nach langer Zeit, einen Ausflug ins Strandbad am Wannsee. Die Affäre mit Astrid Claes versuchte er weiter anzufachen, doch sie erwies sich als Strohfeuer, denn beinahe jeder Brief bot Anlass zu Unstimmigkeiten.
     
Nämlich, sind Sie eine Frau, also eine Liebespartnerin, stehe ich Ihnen anders gegenüber, als wenn Sie ein feines Herz sind, eine Dichterin, eine Gespielin, … Im ersteren Fall werden Sie behandelt wie eine Frau, d. h. sehr nett, aber etwas bestimmend und etwas beobachtend, … Man liegt vor einer Frau nicht Tag und Nacht auf den Knieen u. murmelt zu ihr Gebete empor, eine Frau ist ein Gegenstand. 49
     
    Beinahe schien es, als sei auch seine so plötzlich aufgeflammte Lyrikproduktion nur ein Strohfeuer gewesen, da erreichte ihn am 18. Juli ein Brief der Feuilletonredakteurin der
Welt am Sonntag,
Ingeborg Brandt. »Keine Schönheit, Brillenträgerin … aber klug wie alle ihr Frauen, viel klüger als das Mannsvolk.« 50 Die Journalistin fragte unverbindlich, »ob Sie nicht das eine oder andere unveröffentlichte Gedicht für mich hätten«, 51 und diese Anfrage setzte erneut einen lyrischen Schub in Gang; an den folgenden Tagen finden wir im Kalender Vorentwürfe aller vier Strophen des Gedichts
Aber du –?
, 52 allesamt Kneipen-Strophen. Der thematische Zusammenhang mit
Ebereschen
53 ist evident und reicht wiederum bis ins Material, gibt es doch im Vorentwurf den Plan, die letzte Strophe des Gedichts ebenfalls mit der Zeile »Aber du –« enden zu lassen:
     
    E[bereschen] dies Jahr u Jahre immerzu
    An Bäumen Vasen voll, von Gott geboten
    in fahlen Tönen erst u dann in roten –
    Aber Du – 54
     
     
    In ihrer Grundstimmung bilden die beiden gereimten Gedichte einen starken Kontrast mit den Juni-Gedichten. Der aufkeimenden hoffnungsvollen Stimmung von
Teils-teils –
»Aber ein Fluidum!« 55

und
Schöner Abend
steht die Enttäuschung aus
Aber du –?
gegenüber: »abends im Lokal ist kein Genießen, / selbst an diesem Ort zerfällst du bloß.« 56

XV

TRISTESSE (1956)
     
     
    »›Die Helden sind müde‹
    – nicht nur ein guter Filmtitel,
    sondern es trifft zu.«
1
     
     

»Kann keine Trauer sein«
2
     
     
    Am 6. Januar 1956, einem Freitag, war der Morgen wie alle Tage seit Weihnachten grau. Es hatte geregnet. Die Straßen waren nass. Benn hatte gut geschlafen, am Abend zuvor war er bereits um elf zu Bett gegangen. Vorher saß er mit Ilse für eine Stunde bei Bettin, einer der zahlreichen Kneipen um den Bayerischen Platz, wo er ganz gegen seine Gewohnheit kein Bier, sondern einen Pernod trank. Er war erleichtert, dass sich die Bildhauerin Jutta Wrede aus Braunschweig nach drei anstrengenden Sitzungen verabschiedet hatte. Ihre »Besuche«, bei denen er mehr auf der Couch lag als auf dem Stuhl saß, hatten ihn »irgendwie berührt«. Doch er war müde. »Es tat mir leid, dass ich am letzten Tag so down war, dass wir uns nicht mehr gut unterhalten konnten.« 3 »Adenauer 80 Jahre«, 4 notierte er in seinen Kalender, denn der Bundeskanzler war in Bonn mit großem Aufwand und unter Beteiligung zahlreicher Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur gefeiert worden. Benn fragte sich, ob er im Mai seinen eigenen 70. Geburtstag überhaupt erleben würde.
    Bereits seit dem Silvesterabend, den Ilse und Gottfried zusammen mit der Tänzerin Mary Wigman bei den Akademiekollegen Woty und Theodor Werner in der Dernburgstraße verbracht hatten, fühlte er sich »down«; als er dann vor drei Tagen »schwarzen Stuhl, teerfarbenen!!« 5 bei sich feststellte, suchte er sofort den befreundeten Hausarzt Franz-Josef Misgeld auf, der ein Zwölffingerdarmgeschwür diagnostizierte, zu einer Stuhluntersuchung auf okkultes Blut 6 riet und als Sofortmaßnahmen bestimmte: »nicht rauchen, kein Bier trinken, kaum was essen«. 7 Da konnte ihn auch Neles Paket nicht trösten, in dem sich neben vielem anderen eine Flasche Schnaps befand. Er rührte sie nicht an. Benn blieb »abends zu Hause, Selterswasser getrunken«. 8 Nachdem er jedoch den Laborarzt Dr. Wolfgang Albath konsultiert hatte, kamen ihm Zweifel:
     
Nicht die Sache vom Sommer mit dem hohen Blutdruck, etwas Ernsteres, ich mag nicht viel davon sprechen:

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