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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
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Seiten. Doch sie waren ungewohnt. »Und der Säbel will noch nicht so recht, wie er soll.« 44
    In der Woche darauf lud Benn dreizehn Kollegen zum Herrenabend in das Weinhaus Wolf: »Bier u Korn u kaltes Abendbrot. In Uniform.« 45 Doch der »Gesellschaftsrock«, das war die Uniform für besondere Anlässe, mit aufgesetzten Brust- und Seitentaschen, passte nicht: »Dumme Sache. Wo ich sie schon an sich so ungern anhabe.« 46 Die Rede, die Benn hielt, war halb militärisch und halb zivilistisch. Jedenfalls »preußisch hart«. 47 Sie endete pflichtgemäß mit einem »Die Wehrersatz-Inspektion Hannover – hurrah!« 48 Dank Aufputschmitteln und starkem Kaffee hielt der Gastgeber durch bis morgens um vier. Dann war die Verwandlung in das Gewand des Militärischen vollendet: »In Zivil wollte man nichts von mir.« 49

XII

»WIR LEBTEN ETWAS ANDERES
ALS WIR WAREN« 1
(1945 – 1948)
     
     
    »Immer stärker wird mein Gefühl davon,
    als ob die Stunde da wäre, in der sich etwas abzieht
    von der Erde, nennen Sie es den Geist oder die Götter
    oder das, was menschliches Wesen war.«
2
     
     

XIII

»AUGENBLICK AN AUGENBLICK –
DAS IST DIE WELT« 1 (1948 – 1954)
     
     
    »Warum verlasse ich eigentlich noch einmal diese Zelle
    und diese Höhle und diesen Hain?«
2
     
     

Doppelleben
     
     
    Bereits während der Arbeiten am
Doppelleben
einigten sich Autor und Verleger auf »gewisse Propagandamaßnahmen.« 55 Als das Buch Ende März 1950 erschien, erreichten sie ihren Höhepunkt. Niedermayer witterte einen Verkaufserfolg, glaubte, dass nach Abschluss des für Benn sensationell verlaufenden Comeback-Jahres »nun etwas Persönliches über den Autor viele Menschen interessieren würde«, 56 und ahnte eine »literarische Sensation«. 57 Für Frank Maraun stand »der Bestseller 1950« 58 im Februar schon fest.
    Benns Haltung war ambivalent. Einerseits sah er sich niemandem, weder der Öffentlichkeit noch staatlichen Stellen, verpflichtet, sein Verhalten während der Nazi-Diktatur zu rechtfertigen, andererseits war es seine Idee, seiner Autobiographie aus dem Jahr 1934 einen zweiten Teil hinzuzufügen, nachdem Max Niedermayer ihn mit dem Plan konfrontiert hatte, »den ›Lebensweg eines Intellektualisten‹ als Buch für sich herauszubringen«. 59
    Mitte November war der erste Teil des
Radardenkers
beendet, und Benn verschaffte sich einen Überblick über das Material, das für die Fortsetzung in Frage kam. Er ordnete, studierte und glossierte »Dokumente über Glanz u Elend der Literaten«, 60 wie den Brief Klaus Manns an ihn aus dem Jahr 1933 oder das Schreiben, mit dem er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde, und gab Niedermayer die Landsberger Prosastudie »Block II, Zimmer 66« zu lesen. Ende November war der
Radardenker
fertig, so dass Benn sich intensiv mit den »Schatten der Vergangenheit« und »Leier und Schwert« 61 auseinanderzusetzen begann.
    Benns Rechtfertigungsschrift hatte eine Vorgeschichte. Sie reicht in den Sommer 1949, als ihn der zu dieser Zeit in Los Angeles lehrende Ludwig Marcuse und der Schauspieler Alfred Beierle besuchten. Seit dem Sonntagnachmittag des 24. Juli ließBenn eine Frage nicht mehr los, die Marcuse »in hastiger Verlegenheit« herausgestoßen hatte:
     
»Können Sie mir erklären, wie Sie mit lauter Eifer ›Ja‹ sagen konnten zu dem grausigsten deutschen Ereignis des Jahrhunderts?« Er war überrumpelt, was mir peinlich war. Er wurde rot, ich sah schnell fort. Er stotterte (ich bedauerte schon mein Eindringen): »Ich … ich … weiß nicht.« Schnell fing er sich auf: »Als die braunen Bataillone unter meinem Fenster vorbeimarschierten, glaubte ich an eine elementare Revolution.« 62
     
    Zum Abschied überreichte er Marcuse ein Exemplar der
Ausdruckswelt.
Kurz vor Weihnachten las Benn in einem in der Berliner Ausgabe der
Neuen Zeitung
veröffentlichten Brief Marcuses, dass er »immer noch nicht schwer genug nehme, was in Deutschland geschehen ist – geschehen mit Hilfe von jedem, der einmal Ja sagte«. 63 Bereits als Benn seine
Drei alten Männer
ausländischen Bekannten zugeschickt hatte, nahm er deren betroffene Reaktionen widerwillig zur Kenntnis, »dass weder Schuld noch Sühne, Umerziehung und Besserungsversicherungen aus Deutschland in dem Band zu finden sind … Sie wünschen Ihre deutsche Frage dargestellt, nicht unsere Weiterentwicklung anzuhören.« 64
    »Doppelleben« meint die Aufspaltung in ein Ich, das denkt, Kunst herstellt, und ein anderes, das

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