Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
Vom Netzwerk:
lebt. Das denkende sagt:
     
Ich bin weder für noch gegen, ich bin ausserhalb. Der Elfenbeinturm Flauberts ist mir noch viel zu materiell. Ich bin für Vacuum u man hat ja jetzt völlig lufttote Kanäle von 30 m Länge konstruiert, in denen die Gegenstände eine Geschwindigkeit von 3000 Stundenkilometern entwickeln – das wäre ein grossartiger Aufenthalt. 65
     
    Nun stand Benn beim Niederschreiben seines
Doppellebens
vor der Frage, wie der »lebendige« Teil seiner Vergangenheit angemessen darzustellen wäre. Er schlug einen flotten Ton an, vondem die Leser bis heute gefesselt und irritiert sind: »Als Ganzes ist das Manuskript ja mehr unterhaltender Art und Sprache und Diktion ist vielleicht etwas salopp.« 66 Er machte »es in keiner Weise tiefsinnig und abgründig, sondern mehr erzählerisch und unterhaltend«. 67 Offensichtlich drängte es Benn, über die Vergangenheit gleichzeitig sprechen und nicht sprechen zu wollen, und offensichtlich gelang ihm mit
Doppelleben
auch beides.
    Zu keinem Zeitpunkt in seinem Leben hat Benn die Öffentlichkeit und sie ihn so sehr gesucht wie in den ersten Monaten des Jahres 1950. Im Januar sandte er einen Beitrag zum vierzigjährigen Jubiläum des Kiepenheuer Verlags, um den ihn Noa Kiepenheuer gebeten hatte. 68 Erich B. Zornemann lud ihn in die Pädagogische Hochschule ein, im »Lankwitzer Campus« einen Vortrag über Expressionismus zu halten: »Grosses Auditorium, etwa 200, ganz junge, Studenten.« 69 Ende des Monats überließ er Erich Schmidt einen Brief an Walter von Molo für eine Verlagsfestschrift zu dessen 70. Geburtstag zum Abdruck. 70 Benn geriet in diesen Wochen geradezu in einen Öffentlichkeitsrausch. Neben seiner Arbeit an einem großen Aufsatz zu Nietzsche anlässlich dessen 50. Todesjahr kam er einer Aufforderung Hans Schwab-Felischs von der
Neuen Zeitung
nach, eine Rezension über den französischen Ärzte-Roman
Corps et Ames (Leib und Seele)
von Maxence van der Meersch zu schreiben. 71 Er besuchte die Gründungsveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für die kulturellen Beziehungen zu Frankreich im Centre Culturel Français und nahm an Sitzungen des vorbereitenden Ausschusses für die Deutsche Akademie der Künste zu Berlin teil, in deren Gründungsausschuss er Ende 1952 vom Senator für Volksbildung berufen wurde.
    Gleichzeitig verliebte sich Benn in einer »blauen Stunde« in »eine leere, ungebildete gemeine Person, die weder orthographisch schreiben, noch manierlich mit Messer u Gabel essen konnte, obschon sie Kellnerin in einem der elegantesten First-class-Etablissements des Westens« 72 war.
     
    Darf man keine Nelke pflücken,
    weil man eine Rose trägt –
    wenn die Blumen mich beglücken
    ist es das Herz, das schlägt?
     
    Wenn soviele Blüten leuchten,
    wenn soviele Gärten stehn
    darf das nur den Blick befeuchten,
    darf man das nicht tiefer sehn
     
    In die Dolden, in die Kelche
    u die Adern zart im Blatt
    welche Gegenblüte – welche –
    weil man eine Rose hat? 73
     
     
    Mit der ungenannten »Nelke« hatte er zwei Jahre ein Verhältnis, »brachte meine Ehe bis an die äusserste Grenze der Gefährdung, war mir gleich, war bereit zu Grunde zu gehn«. 74
    Im
Kurier
erschien ein Vorabdruck des Kapitels »Phase II«, Christa Rotzoll-Busse, Ehefrau Walter Busses von der
Welt
, bereitete eine große Story für den
Spiegel
vor. Sie besuchte Benn, arbeitete einen Fragebogen aus und bat um Fotos »als Säugling, als Konfirmand, als Arzt, als Soldat, aber das besitze ich nicht«. 75 Am Donnerstag vor Ostern erschien der Artikel unter dem Titel »Er wütet in sich herum«. Am selben Abend sendete der NWDR das Streitgespräch mit Peter de Mendelssohn zum Thema »Der Schriftsteller und die Emigration«.
     
»Ich hab’ was gelesen«, sagte Benn vor der Aufnahme und zeigte einen Band aus der Leihbibliothek: Mendelssohns Roman »Das zweite Leben«.
»Ich hab’ auch was gelesen.« Mendelssohn wies Benns »Kunst und Macht« vor, Essays aus dem braunen Jahr 1934.
»Das könnte ich gesagt haben«, fand Benn und zitierte Mendelssohnzum Emigrationsthema: »Die Stimme von draußen ist die Stimme des Toten.« Mendelssohn zitierte nicht aus »Kunst und Macht«. 76
     
    Mittlerweile hatte Benn einen Brief des Sekretärs der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erhalten, in dem Oskar Jancke ihm mitteilte, dass ihn die Akademie »auf ihrer Tagung in Stuttgart zum Mitglied ihres Kollegiums gewählt« 77 habe. Kurz vor seinem 64. Geburtstag, zufrieden mit

Weitere Kostenlose Bücher