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Gottlose Küsse (Vampirgeschichten)

Gottlose Küsse (Vampirgeschichten)

Titel: Gottlose Küsse (Vampirgeschichten) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Kickers
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interessierten.
    Unbemerkt war Lessandro hinter dem jungen Mädchen auf dem Dach gelandet. Seine
dunklen Zigeuneraugen
in dem schmalen Gesicht, umrahmt
von wilden, schwarzen Locken,
musterten sein Opfer mit einer gewissen Neugier und dem sicheren Instinkt eines Jägers.
    Das Rauschen des Verkehrslärms drang zu Delia herauf, die immer noch am Geländer der
Terrasse hinunter in die Tiefe starrte. Der leichte Regen vermischte sich mit ihren Tränen, aber sie
spürte ihn nicht einmal. Bunte Neonlichter spiegelten sich auf dem nassen Asphalt. Da unten war
eine so herrlich lebendige Welt, doch Delia fühlte sich ausgestoßen.
    Vor über 400 Jahren in Italien war es Lessandro nicht anders ergangen. Damals wollte auch
er sich aus Liebeskummer von der Mauer eines Castellos stürzen.
Doch sein Tod erschien in der Gestalt der jungen Magd Bianca, die seinen Gang zur
Burgmauer in dieser Nacht beobachtete. Es fiel ihr nicht schwer, sich ihm zu nähern und mit ihren
Reizen zu locken. Sie befand sich bereits im Nachtgewand und der Wind spielte mit dem weißen
Leinen, das sich um ihre wunderbar weibliche Figur schmiegte. Wie sie so langsam auf ihn zukam,
hielt er sie für einen Engel. Ohne zu fragen, nahm sie den jungen Mann bei der Hand und führte ihn
in ihre spartanisch eingerichtete Kammer, in der eine Kerze die einzige Lichtquelle bildete. In ihren
erfahrenen Händen vergaß Lessandro schnell seine Absicht, zu sterben und doch lief er dem Unheil
in die Arme. Was diese Magd ihm schenkte, hätte er von seiner großen Liebe, der Comtessa Sofia,
niemals erhalten. Die hatte ihn gar nicht beachtet als einer ihrer Bediensteten. Ganz anders diese
Bianca, die ihn mit ihren Zärtlichkeiten überhäufte und dennoch ihr Begehren nicht verbarg. Wieso
war diese reizvolle Frau ihm bloß nicht früher aufgefallen? Auf diese Frage erhielt er keine Antwort
mehr. Nachdem sich Bianca ihm mit bedingungsloser Hingabe geschenkt hatte, färbte sich das
Kissen blutrot. Ihr Biss war schmerzhaft und erbarmungslos gewesen.
Er bat mit letzter Kraft um Gnade, und sie schenkte ihm das Leben als Untoter und lehrte
ihn, die Schönheiten der Nacht zu genießen – in jeder Hinsicht. Viele Jahre lebte oder, besser
gesagt, existierte er an Biancas Seite bis zu dem Tage, als die wütenden Dorfbewohner, die sie öfter
des Nachts heimsuchte, ihr Herz mit einem Pflock durchbohrten. Lessandro selbst konnte im letzten
Augenblick entkommen und verließ Europa an Bord eines Seglers mit anderen Auswanderern. Dort,
auf dem begrenzten Raum des Schiffes, lernte er, seine Bedürfnisse so zu stillen, dass kein Verdacht
auf ihn fallen würde. Dennoch siechte der eine oder andere Passagier langsam dahin und erhielt ein
nasses Grab.
    Heute konnte Lessandro das Schlagen von Delias Herzen mit seinen feinen Sinnen
wahrnehmen. Es pulsierte in einem traurigen, schweren Rhythmus und weckte sein Verlangen nach
dem süßen, warmen Blut unter der zarten Haut.
„Du hast Angst“, hauchte er mit leiser Stimme, als er gerade hinter ihr stand.
    Erschrocken fuhr Delia herum, starrte entsetzt den Eindringling an, den sie nun bewusst
wahrnahm. „Wer…wer sind Sie?“ stammelte sie. „Und wie kommen sie hier herauf?
Die
Alarmanlage…“
    Mit einer abwertenden Handbewegung unterbrach der ungebetene Besucher sie. Lessandro
lächelte. Es war ein jungenhaftes Lächeln, das sein blasses Gesicht aufleuchten ließ. Seine großen,
schwarzen Augen waren von tragischen Schatten umgeben, den Spuren eines rastlosen, nächtlichen
Lebens. „Ich bin dein Schicksal“, erklärte er mit einer Stimme, als ob er zu einem Kind sprechen
würde. „Und das Schicksal kann man nicht aufhalten.“
Langsam trat er näher. Delia wollte zurückweichen, doch sie stand bereits mit dem Rücken
am Geländer, das sie von der Tiefe trennte.
    Sie versuchte zu fliehen, lief am Gitter entlang, doch wo immer sie sich auch hinwandte,
Lessandro war schon da. Er spielte mir ihr mit der zärtlichen Grausamkeit einer Katze. In eine Ecke
gedrängt blieb Delia zitternd stehen, die feuchte, kühle Nachtluft ließ ihren heftigen Atem wie zarten
Nebel erscheinen. Ihre großen, braunen Tieraugen flehten um Gnade. Lessandro blieb ganz ruhig
und streckte die Arme nach ihr aus. „Ich biete dir eine neue Existenz. Gerade wolltest du dein Leben
noch beenden. Komm, schenk es mir.“ Er sagte diese Sätze mit einer sanften, bittenden Stimme. Da
war ein Flehen, dem sie nicht widerstehen konnte.
    Willenlos ließ sie es zu, dass

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