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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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seine Ordonnanz nicht fand, winkte er Lös zu sich heran.
    »Lös«, sagte er, »der Alte hat gut reden. Asyl! Lächerlich. Parlamentarierschlagworte. Und den armen Leuten spricht er von einer neuen Heimat. Ich bitte Sie! Nun ja, der Alte behandelt sie gut, aber… Na, im Grunde geht mich ja die ganze Sache nichts an.« Er seufzte laut, denn er mußte daran denken, daß er diese Nacht wohl würde allein schlafen müssen. Er war heute nicht stark genug, um seine kleine Freundin unter dem lang herabfallenden Mantel am grinsenden Wachtposten vorbeizuschleppen. Offen konnte er sie nicht in den Posten führen. Der Alte würde sich allzusehr aufregen: Anstand mußte gewahrt bleiben. Lös hatte sich auf die Armstütze des Stuhles gesetzt. Die schwere Hand des Leutnants legte sich auf seine Schulter: »Hören Sie, bringen Sie mir doch heute abend noch einen halben Liter Schnaps. Sie verstehen doch? Ich könnte ja in der Cooperative kaufen, aber dort gibt es nur edlen, den man fast Likör nennen müßte. Während Ihr Schnaps so durchaus gemein und giftig ist, daß er mein anständiges Gemüt erquickt. Auch habe ich die drei letzten Nummern der »Nouvelle Revue Française« erhalten. Sie stehen zu Ihrer Verfügung, zusammen mit ein paar allerneuesten Schmökern. Übrigens, große bittere Neuigkeit: Proust ist gestorben.« Des Leutnants Stimme klang traurig, fast, als habe er den Tod eines sehr nahen Freundes erfahren. »Ich habe ein Bild von ihm.« Lartigue schloß Daumen und Ringfinger zu einem Kreis und zerschnitt damit die Luft in kleine Zylinder. »Darauf sieht er aus wie eine weiße, dicke Spinne, die irgendwo in einem verdunkelten Raume sitzt und die schillernden Fliegen des Klatsches in silberne Fäden einspinnt.« Er schnalzte leise mit der Zunge, als sei er vom Geschmack seines Satzes richtig entzückt.
    »Proust ist also tot?« wiederholte Lös, und auch seine Stimme klang traurig, denn ein Stück Vergangenheit flog an seinen Augen vorbei: eine Bank am See, ein weicher Wind, der mit den Blättern der Bäume spielt. Er liest die Geschichte Swanns, die ihn tröstet, irgendwie, weil er selbst gerade eifersüchtig ist. Vor drei Jahren war dies. Was ist nur seither geschehen, daß er hier in einem kleinen Posten sitzt, daß er den Liebenswürdigen spielen muß, um nur seinen Druckposten in der Verpflegung beizubehalten? Lieber nicht an Vergangenes denken! Lang sind die Nächte in dieser Verwaltung, weil der Körper den Tag über nicht genug Müdigkeit zu einem tiefen Schlaf hat aufspeichern können. Und darum sind die Nächte bisweilen angefüllt mit Verzweiflung, die sich nicht vertreiben läßt, sondern wieder kommt, wenn man sie verscheuchen möchte wie einen Fliegenschwarm. Ja, in Bel-Abbés hat er noch Angst gehabt, die fünf Jahre könnten zu schnell vergehen und er müsse wieder zurück in die Verantwortlichkeit und den Kampf, dort in Europa. Aber seit einem Jahre etwa ist diese Angst verschwunden, und nur die Sehnsucht ist geblieben: die Sehnsucht nach Städten, nach dem Asphalt der Straßen, den der Wind hobelt, nach einem Kaffeehaus, dem Klinglerquartett und vielleicht auch nach einer weißen Frau.
    Lartigue hatte die Augen geschlossen, und Lös verließ ihn. Als er an der Bühne vorbeikam, hockte dort in einer Ecke die braune Frauengestalt, die vor kurzem gesungen hatte. Zerflossen war die Schminke, das Gesicht sah alt aus, mit bläulichen Schatten auf den Wangen. Die gefalteten Hände hielten die Knie umschlossen.
    »Was ist los, Patschuli, bist du traurig?« fragte Lös. Patschuli hieß eigentlich Erich Laumer. Er sei Damenimitator gewesen, früher, so erzählte er. Sonst war sein Ruf sehr eindeutig in der Kompagnie.
    »Wie meinen Sie, Korporal?« Patschuli versuchte beleidigt auszusehen, runzelte die Stirne und gab seinem Mund die Form eines Halbmondes.
    »Verzeihen Sie mir.« Lös verbeugte sich und legte die Hand auf die Brust. »Aber vielleicht gestatten Sie mir, Sie zu einem Glase Wein einzuladen.«
    »Oh«, sagte Patschuli, stand auf und schlängelte seinen Körper. »Aber Sie müssen meinen Freund auch einladen. Fritz«, rief er, »ein Herr will uns zu einem kleinen Imbiß einladen. Hältst du mit?«
    Zwischen den Fässern kam gelenkig Fritz Peschke hervorgekrochen, apfelgelb das Gesicht, als sei er leberkrank, eine schwarze Locke wie ein dickes Komma mitten in der Stirn.
    »Kennen sich die Herren?« flötete Patschuli und legte seine Hand auf die Schulter des Freundes. Es lag doch viel echte

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