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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sorgfältig das Haar vors Ohr und überlegte lange, was er anziehen sollte. Gerade vor den Caprichos mußte ein repräsentativer Goya stehen, ein würdiger Goya, kein Gaukler und Spaßmacher, sondern der Erste Maler des Königs. Er legte die Halsbinde an, die hoch bis zum Kinn geschlossene, er schlüpfte in den mächtigen, grauen Gehrock und setzte den stolzen Zylinderhut, den breitkrempigen Bolívar, auf den schweren, runden Kopf.
    So, im Profil, zeichnete er sich, neugierig, was da herauskommen werde.
    Staunend sah er, als sie fertig
    War, auf seine Zeichnung. Dieser
    Alte, grimm’ge Herr, war er das?
    War das er? Aus seinem Winkel
    Spähte bös und scharf das Aug nach
    Dem Beschauer. Vorgeschoben,
    Mürrisch hing die Unterlippe.
    Harte Falten liefen von der
    Nase abwärts zu den Ecken
    Der gekrümmten, dünnen Ober-
    Lippe. Mächtig, streng, abweisend
    Sah der runde, löwenhafte
    Kopf darein, noch mächt’ger unterm
    Mächtigen Bolívar.
    Wirren
    Fühlens schaute Goya auf die
    Zeichnung. Sah er wirklich so alt
    Aus, so mürrisch? Oder hatte
    Er die Einsamkeit der Zukunft
    Sich, die menschenhasserische,
    Selber vorgezeichnet?
    Grimmig
    Sah er hoch. Nun grade schrieb er
    Seinen Namen hin: »Francisco
    Goya y Lucientes, Maler.«
    Und er kommentierte: »Sehen
    Sie mal an, wie gravitätisch!
    Aber nehmen Sie ihm nur den
    Hut ab, öffnen Sie ihm nur die
    Hirnschal, und Sie werden stehn und
    Sehn und staunen, was darunter
    Ist.«

32
    Alle Glocken läuteten in Madrid. Die Bevollmächtigten des Katholischen Königs und die Seiner Großbritannischen Majestät hatten in Amiens die Verträge unterzeichnet: der Friede war da. Jubel war. Vorbei war es mit dem Elend. Die Schiffe aus den überseeischen Ländern werden wieder einlaufen. Die Schätze beider Indien werden, befruchtender Regen, niederströmen auf Spaniens Dürre. Das Leben wird eine einzige Herrlichkeit sein.
    Goya hatte sich ein so schnelles Ergebnis der Verhandlungen nicht erhofft. Aber er war bereit: die dreihundert Exemplare der Caprichos waren gedruckt, der Prospekt, der sie begleiten sollte, geschrieben.
    Eine Woche nach der Verkündigung des Friedens wurden die Caprichos im »Diario de Madrid« angezeigt. Señor Francisco de Goya, hieß es in dieser Anzeige, habe eine Anzahl von Radierungen hergestellt, welche »asuntos caprichosos – phantastische Gegenstände« zum Thema hätten. Der Autor habe unter den vielen Extravaganzen und Ungereimtheiten der Gesellschaft, unter den zahlreichen, durch Gewohnheit, Unwissenheit und Profitinteresse geheiligten Vorurteilen und Schwindeleien diejenigen herausgegriffen, die ihm dasbeste Material zu liefern schienen für eine gleichzeitig lehrhafte und phantastische Darstellung. Señor de Goya habe nicht etwa die Absicht, bestimmte Personen und Begebenheiten anzugreifen oder zu verhöhnen, vielmehr sei sein Zweck, typische Charaktere zu geißeln, Laster und Verkehrtheiten allgemeiner Art. Besichtigt und gekauft werden könnten diese »Caprichos« im Laden des Señor Frágola, Calle de Desengaño 37. Die Mappe enthalte 76 Radierungen. Der Preis sei eine Unze Goldes gleich 288 Realen.
    Die Calle de Desengaño war still und vornehm, der kleine, intime Laden des Señor Frágola hübsch und kostbar eingerichtet. Zu kaufen gab es dort erlesene Parfums, edle französische Liköre noch aus der Zeit des Fünfzehnten, ja des Vierzehnten Louis, Spitzen von Valenciennes, Tabaksdosen, alte Bücher, Nippes und Chinoiserien, Raritäten und Antiquitäten jeder Art, auch zierliche Reliquien, Knöchelchen von Heiligen und dergleichen. Agustín und Quintana hatten abgeraten, die Radierungen an dieser Stätte des Luxus und der Exklusivität zur Schau zu stellen. Aber Goya bestand darauf, daß die Caprichos gerade hier ausliegen sollten, eine Kostbarkeit unter Kostbarkeiten; sie sollten von vornherein nicht als Mittel politischer Propaganda betrachtet werden, sondern als Kunstwerk. Auch erinnerte er sich, wie oft er mit Cayetana in dem Laden in der Calle de Desengaño gewesen war, wenn sie sich dort die seltenen und seltsamen Dinge hatte zeigen lassen, die der findige Señor Frágola aufgestöbert hatte. Vor allem aber hatte der bedeutsame Name der Straße Francisco gelockt. Denn das Wort »desengaño« bedeutet zweierlei: es bedeutet Enttäuschung, Entzauberung, Desillusion, und es bedeutet auch Witzigung, Belehrung, Erkenntnis. Die Calle de Desengaño, das war die rechte Straße für die Caprichos. Er selber war diese Straße gegangen,

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